Dienstag, 26. August 2008

Ein ganz normaler Tag

Wo ich bin und wie ich Kontakt halte
Mein heutiger Tag war angefüllt von Vorlesungsvor- und -nachbereitungen, sodass ich eigentlich nur vom Weg zur Arbeit und vom Essen berichten kann. Weil in der Uni das Internet für mich noch nicht funktioniert und ich dabei bin, meine Vorlesung spontan umzustellen und zur Verbesserung des Verständnisse mit Bildern anzureichern, musste ich teilweise im Hotel und andererseits im deutschen Professorenbüro (Geografische Lage: Lat: 31° 12' 48,17'' N – Lon: 121° 27' 20,68'' E – Elv: 7 m aSL) im Campus arbeiten. Im Hotelzimmer funktioniert das Internet so leidlich, wie in Deutschland in großstadtfernen Landkreisen ohne DSL-Netz. Das chinesische Backbone besteht aus 7 Netzwerken, die nur in Peking, Shanghai, Guangzhou und Hong Kong internationale Anbindung mit gerade mal 36 Gbps in Spitzenzeiten haben; teilweise befinden sich die Netzbetreiber, die am Backbone der VR China peeren, noch immer unter staatlicher Kontrolle. Ob letzteres eine Auswirkung hat, kann ich nicht beurteilen.
Meine beiden Arbeitsorte liegen nicht weit voneinander entfernt – mit dem Fahrrad sind es längstenfalls 15 Minuten. Herrlicher Sonnenschein und vor allem eine ganz klare Luft heute morgen hätten niemanden vermuten erahnen lassen, was für ein Unwetter gestern herrschte.



Der Blick direkt aus meinem Hotelzimmerfenster (Geografische Lage: Länge: 121° 28' 02,95'' O; Breite: 31° 12' 51,62'' N; Höhe: 6 m ü. NN plus 11 Stockwerke) auf einen kleinen Ausschnitt der Skyline von Shanghai gefällt mir im Tag- und im Nachtdesign. Allerdings wird die bunte Illumination nachts bereits um 22.00 Uhr abgeschaltet. Und erst nach 06.00 Uhr morgens brodelt der Berufsverkehr wieder. Das New Yorker „The City that never sleeps“ gilt hier noch lange nicht.



Verkehrsführung
Zur Uni kann ich nicht auf dem kürzesten, direkten Weg fahren, weil hier bei wichtigen Straßen Einbahnverkehr gilt. Da das Straßennetz großenteils in etwa in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung verläuft und jede zweite Straße in die eine und die dazwischenliegenden Straßen in die entgegengesetzte Richtung führen, kann man sich gut orientieren. Das führt allerdings dazu, dass keine Buslinie auf dem Hin- und Rückweg die gleichen Straßen benutzen kann. Ich kenne zwar die Omnibuslinie 786 vom Hotel zur Uni (drei Haltestellen) und die Trollybuslinie 24 zurück (drei andere Haltestellen), aber das System habe ich noch nicht durchschaut. An fast jeder Haltestelle halten mindestens 8 Linien und weitere fahren durch. Alles ist zwar minutiös aufgeschrieben – an dieser Stelle leider ausschließlich auf Chinesisch. Dafür gibt es an den meisten Haltestellen und im Bus Flachbildfernsehschirme mit laufendem Programm und mit Werbung. Witzig finde ich, dass alle Busse Vorhänge vor den Fenstern haben; die modernen Stadtlinienbusse auch sehr leistungsstarke Klimaanlagen. Alle Busse sind aus chinesischer Produktion und tragen zum größten Teil mir unbekannte Herstellernamen. Genaugenommen kannte ich bisher nur Dongfeng als einen der weltgrößten Produzenten. Manchmal erkenne ich Kooperationsprodukte, z. B. mit Volvo; deren chinesische Tochter produziert die Marke Sunwin. Insgesamt lag die chinesische Produktion letztes Jahr bei fast 100.000 Einheiten mit 6 % Wachstum. Das PKW-Wachstum ist noch größer. Es fällt mir wunderbar angenehm auf, dass in kaum einer Straße Autos am Straßenrand geparkt sind – aber lang wird das sicher nicht mehr so bleiben. Auch die PKWs sind fast ausschließlich aus chinesischer (Ko-)Produktion. Allerdings, einen Porsche Carrera S (in weiß) und einen Maybach (lange Version in schwarz) habe ich auch schon gesehen.

Die Leute um mich herum
Nicht nur in Bussen findet man Reklame für alle möglichen Konsumgüter, sondern auch sonst auf Schritt und Tritt. Immer sind chinesische Menschen auf den Fotos zu sehen. Dagegen habe ich so gut wie gar keine Parteireklame oder rote Wandsprüche wie damals in der DDR zu Gesicht bekommen. Das äußere Leben ist total unpolitisch. Niemand trägt Mao-look. Shanghai (上海 shànghǎi = über (dem) Meer. Ein anderes Schriftzeichen für Shanghai: 沪, Aussprache hù, ist auf den Autonummernschildern zu sehen. Auch die Schriftzeichen 伤害 werden shānghài ausgesprochen, jedoch mit anderer Tonführung und bedeuten “Unheil”. Das sind Stolperfallen für unkundige wie mich.) liegt auf ca. 30° geografischer Breite, das ist auf Höhe der Kanarischen Inseln oder Kairos oder (auf der anderen Hemisphäre) Kapstadts. Deswegen ist es sehr warm und jeder läuft hier leger und leicht bekleidet herum. Bekleidungspolitisch sind die Menschen hier nicht von denen in den genannten Orten (von Kairo mal abgesehen) zu unterscheiden. Die Frauen machen sich chic – nicht alle, aber das ist sicher Geschmackssache und nicht Ideologie.
Alle Chinesen habe tiefschwarze Haare (Greise auch weißes Haar; im Stadtbild sind wenige Alte zu sehen) und sind kleiner als wir; Adiposität ist überhaupt kein Massenproblem; alle wirken richtig schlank. Die Frauen haben alle flache Brüste und flache Pos. Die normale chinesische Unterhaltungslautstärke liegt gefühlt 10 dB höher als bei Deutschsprechenden (das ist doppelt so laut). Das Schlimme ist, dass ich mich nur mit ganz wenigen Chinesen tiefgehender unterhalten kann; auch das Englisch (oder der Mut, es einzusetzen) der meisten Studenten, die ich treffe, hilft nicht weiter. Deswegen kann ich die Charaktere nicht einschätzen, sondern nur nach dem äußeren Anschein und dem Habitus urteilen. Sonst könnte ich mich auch mal von mir verständlich machen. Denn trotz der massiven Antirotzkampagnen gibt es noch viele Überzeugungstäter, die von der alten Gewohnheit nicht lassen (können). Auch in der Vorlesung stört sich niemand an geräuschvoller Nasenbefreiung (nach oben). Nach den Pekingern sind nun aber die Shanghaier dran, denn was vor 2008 im Norden für die Vorbereitung der Olympischen Spiele getan wurde, findet hier in Shanghai jetzt im Hinblick auf die Weltausstellung Expo 2010 statt.



Mit dem Rad zur Uni
Mein Weg zur Uni mit dem Fahrrad findet in der ehemaligen französischen Konzession unter dem Blätterdach von in allen Straßen angepflanzten Platanenalleen statt. Einbahnverkehr bedeutet, dass Autos, Busse, LKW und Motorräder auf der rechten Seite in die eine Richtung fahren und Fahrräder, (sanft knatternde) LPG-Roller, (lautlose von hintern überraschend vorbeibrausende) Elektroroller und schwer bepackte Dreirad-Lastenfahrräder in entgegengesetzter Richtung, ebenfalls auf der rechten Seite – oder auch nicht so streng beachtet. In der nächsten Parallelstraße ist es umgekehrt. Die Fahrgeschwindigkeit ist niedrig; im Notfall kann man fast immer gerade noch halten. Aber jeder überholt jeden so gut er kann und sucht sich seine Lücke, doch noch geschickt – und sei es von ganz links zum Rechtsabbiegen.

Über meine Beobachtungen beim Essen in der Mensa berichte ich ein anderes Mal.

Erkenntnis des Tages: Ganz normales Alltagsleben ist für mich noch längst nicht alltäglich, sondern aufregend, spannend und bemerkenswert.

Jetzt auch:
教授博士工程师洪彼得
jiàoshòu bóshìgōngchéngshī hóng bǐdé
Prof. Dr.-Ing. Hornberger, Peter

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Lieber Herr Hornberger,

mit grossem Interesse bin ich über Ihre ersten Berichte geflogen und habe mich dabei an meine ersten Shanghai Erfahrungen 1994 erinnert - vieles wird mit heute nicht mehr zu vergleichen sein. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Spaß und Erfolg - und wenig Regen!
Ihr
Klaus Borgschulte