Mein wichtigstes Tageserlebnis hatte ich bereits am frühen Vormittag hinter mir. Als ich um 6.00 Uhr aufstand lud mich der zwar trübe aber regenfreie Himmel ein, später mit dem Fahrrad zur Uni zu fahren. Ortstypisch hatte ich für meinen ersten Vorlesungstag kein Jackett und keine Krawatte, sondern nur ein kurzes Hemd, aber wenigstens doch eine lange Hose und Lederschuhe ausgewählt. Um halb acht, als ich dann losmusste, setzte ein unmittelbar über der Stadt ausbrechendes Gewitter mit heftigen Blitzen, Donnerschlägen und tropischem Wolkenbruch ein. Später wurde gesagt, es seit der Ausläufer eines Taifuns, von denen es im Oktober besonders viele gebe. Fahrradfahren war also undenkbar; ich zog meinen Regenschirm ganz tief, um meinen Laptop im Rucksack vor Nässe zu schützen. Bis zur Bushaltestelle versuchte ich noch um die immer tiefer werdenden Pfützen herum zu balancieren. Überall fing das Wasser an, sich zu stauen. Bei Ankunft des Busses war die Bordsteinkante unter dem Wasserspiegel nicht mehr zu erkennen. Die Reifen schoben eine spürbare Bugwelle vor sich her.
Nun musste ich doch mit einem beherzten großen Schritt einmal mit den Schuhen tief ins Wasser steigen. (Erstmalig hörte ich auch einen heftigen Streit zwischen einem Passagier und der Busfahrerin. Vermutlich, weil sie, wie alle anderen Busse, so weit von der Bordsteinkante weg anhielt, dass jeder der einsteigen wollte, nur watend zur Tür gelangen konnte. Was gesagt wurde, verstand ich natürlich nicht, aber es war ein gellend lautes Gekreische in extrem unterschiedlichen Tonlagen; schade, dass ich das nicht aufnehmen konnte). An der Uni angekommen, gab es keine Wahl des Weges mehr. Die Wassermassen konnten nicht schnell genug abgeführt werden. Jeder vorbeifahrende Bus erzeugte eine quer über die Straße rollende Bugwelle, der ich durch aufsteigen auf die Treppenstufe zu den (noch geschlossenen) Läden auszuweichen versuchte. Vergeblich. Dafür drang das Wasser in die Geschäfte ein. Das letzte Stück musste ich durch wadenhohes Fluten waten, wie alle anderen und meine Studenten auch. Ich war jedoch der einzige in Lederschuhen. Damit es nicht so laut schmatzte beim hin- und hergehen, hielt ich meine erste Vorlesung in Socken und am ganzen Körper nass. Darin unterschied ich mich in nichts von meinen Studenten. Mir ging es auch sehr gut, nachdem ich die Feuchte als gegeben hingenommen, akzepiert und gutgeredet hatte: es war ja angenehm warm und meine elektronischen Geräte waren schadlos geblieben. Bis zum Ende der Vorlesungsstunde hatte sich das Regenwasser übergangslos gegen Körperschweiß ausgetauscht.
Die Dekanin entschuldigte sich für das Wetter, als wäre Sie auch dafür verantwortlich. Seit Jahren habe es nicht mehr so heftig geregnet, wie heute morgen. Für mich war das ein sehr gut erinnerlicher Einstieg in meine neue Aufgabe.

Zum Ausgleich gab es am Nachmittag für jeden Gastprofessor ein paar praktische, weil wasserfeste Plastik-Clogs, die ich bei entsprechender Bedrohung anziehen werde. Nie mehr Lederschuhe – höchstens Sandalen.
Lectures
Besonders spannend war für mich, wie meine Studenten mich annehmen, verstehen und mit mir umgehen würden. Frau Prof. Sun, Direktorin der Abteilung Maschinenbau des Collegs, stellte mich den Studierenden sehr wortreich auf Chinesisch vor (auf Englisch erklärte sie mir, sie habe mich als „the famous Professor“ angekündigt).

Meine Studenten, 41 an der Zahl, können alle deutsch, und ich habe jeden verpflichtet, einmal in der Woche eine Frage auf Deutsch zu stellen oder auf die Fragen, die ich in den Raum stelle, auf Deutsch zu antworten. Durch das besondere Eingehen auf die Sprachmängel geht es etwas langsamer voran als in Deutschland, aber ich habe mehr Vorlesungssemesterstunden als in Hamburg zur Verfügung. Ein Beispiel: Als es um denkbare Fertigungsalternativen für die Herstellung der Mittelelektrode einer Zündkerze ging (das ist den Studenten in Deutschland ja zunächst auch noch sachfremd), musste wir zuerst klären, was eine Zündkerze ist.
Das funktionierte folgendermaßen: Das deutsche Wort Zündkerze geben die Studenten in ihr elektronisches Wörterbuch ein und erhalten dann die Übersetzung in chinesische Zeichen: Feuer-Blume-Stoß oder zünden-Feuer-Gerät, wobei Feuer-Blume der stehende Begriff für Flamme ist; unseren stehenden Begriff Zünd-Kerze muss man ja auch erst mal kennen und darf ihn ebenso wenig wörtlich nehmen. (Wie gut, dass heute nicht der Kotflügel dran war). Ihre Übersetzung haben sie dann als Feuerzeug identifiziert. Die allermeisten hatten in ihrem Leben noch nie eine Zündkerze in der Hand gehabt. Also, zuerst Begriffsklärung. Es wusste auch keiner, mit welcher Drehzahl ein Viertaktottomotor arbeitet (Leerlauf ab 700 U/min.; Fahrbetrieb 1500 – 5000; Formel1 bis 19.000) und wievielen Zündungen die Zündkerze ausgesetzt ist (1 x in 2 Umdrehungen). Mein Eindruck bei anderen Fragestellungen ist, dass das Denken in Plausibilitäten noch nicht schwerpunktmäßig eingeübt ist. Wenn der berühmte Professor ihnen etwas vorsetzt, wird es auswendig gelernt – es wird schon stimmen! Ich glaube, dass ich den Studenten schon an ersten Tag kognitive Aha-Erlebnisse vermitteln konnte. Auf meinem Weg in die Uni morgen werde ich bei einer der zahlreichen Bastelwerkstätten für Fahrräder und Mopeds am Straßenrand eine gebrauchte Zündkerze als Anschauungsmaterial mitbringen. Dann kann ich auch kurz etwas zu den Einstellungsfehlern sagen, die man u. a. am Abbrandverhalten der Mittelelektrode ablesen kann.
Mein Name
Am Nachmittag habe ich mit Xu Jingwei (sprich: Schö Jinwei, dessen Namen ich bis zum Eintreten meines Alzheimers nie mehr zu vergessen versprochen hatte) über chinesische Wörter und den Sprachaufbau (z. B. Zündkerze) gesprochen. Er hat mir einen chinesischen Namen nach chinesischer Denkweise verpasst. Nicht die Bedeutung ist dabei wichtig (also: Hornberger = der Mensch, der vom spitz aufragenden Berg oder der aus dem Ort Hornberg stammt), sondern der Klang der Silben: Hong Bei Grr. Da hinter gleichen Silben je nach Betonung und Schriftzeichen mehrere verschiedene Bedeutungen stecken, gibt es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Mein Nachname heißt „hundertfache Überflutung“. (für Peter gibt es eine Standardübersetzung: Pei te = etwas Besonderes (an sich) tragen). Auf meinem Einwand, kein Chinese hätte einen mehrsilbigen Nachnamen, sind wir auf die Lösung Hong Pei te gekommen (Der Nachname steht immer an erster Stelle; Hong ist einer der 100 alten chinesischen Familien-Stamm-Namen und bedeutet Überflutung). Das passt so richtig zum heutigen Tag! Demnächst werde ich mir ein Siegel anfertigen lassen, dass hier oft Anstelle einer Unterschrift verwendet wird.
Erkenntnis des Tages: Von der Natur und von den Studenten und von Xu bin ich an meinem ersten Tag für mich eindrücklich eingewei(c)ht worden.
Nun musste ich doch mit einem beherzten großen Schritt einmal mit den Schuhen tief ins Wasser steigen. (Erstmalig hörte ich auch einen heftigen Streit zwischen einem Passagier und der Busfahrerin. Vermutlich, weil sie, wie alle anderen Busse, so weit von der Bordsteinkante weg anhielt, dass jeder der einsteigen wollte, nur watend zur Tür gelangen konnte. Was gesagt wurde, verstand ich natürlich nicht, aber es war ein gellend lautes Gekreische in extrem unterschiedlichen Tonlagen; schade, dass ich das nicht aufnehmen konnte). An der Uni angekommen, gab es keine Wahl des Weges mehr. Die Wassermassen konnten nicht schnell genug abgeführt werden. Jeder vorbeifahrende Bus erzeugte eine quer über die Straße rollende Bugwelle, der ich durch aufsteigen auf die Treppenstufe zu den (noch geschlossenen) Läden auszuweichen versuchte. Vergeblich. Dafür drang das Wasser in die Geschäfte ein. Das letzte Stück musste ich durch wadenhohes Fluten waten, wie alle anderen und meine Studenten auch. Ich war jedoch der einzige in Lederschuhen. Damit es nicht so laut schmatzte beim hin- und hergehen, hielt ich meine erste Vorlesung in Socken und am ganzen Körper nass. Darin unterschied ich mich in nichts von meinen Studenten. Mir ging es auch sehr gut, nachdem ich die Feuchte als gegeben hingenommen, akzepiert und gutgeredet hatte: es war ja angenehm warm und meine elektronischen Geräte waren schadlos geblieben. Bis zum Ende der Vorlesungsstunde hatte sich das Regenwasser übergangslos gegen Körperschweiß ausgetauscht.
Die Dekanin entschuldigte sich für das Wetter, als wäre Sie auch dafür verantwortlich. Seit Jahren habe es nicht mehr so heftig geregnet, wie heute morgen. Für mich war das ein sehr gut erinnerlicher Einstieg in meine neue Aufgabe.
Zum Ausgleich gab es am Nachmittag für jeden Gastprofessor ein paar praktische, weil wasserfeste Plastik-Clogs, die ich bei entsprechender Bedrohung anziehen werde. Nie mehr Lederschuhe – höchstens Sandalen.
Lectures
Besonders spannend war für mich, wie meine Studenten mich annehmen, verstehen und mit mir umgehen würden. Frau Prof. Sun, Direktorin der Abteilung Maschinenbau des Collegs, stellte mich den Studierenden sehr wortreich auf Chinesisch vor (auf Englisch erklärte sie mir, sie habe mich als „the famous Professor“ angekündigt).
Meine Studenten, 41 an der Zahl, können alle deutsch, und ich habe jeden verpflichtet, einmal in der Woche eine Frage auf Deutsch zu stellen oder auf die Fragen, die ich in den Raum stelle, auf Deutsch zu antworten. Durch das besondere Eingehen auf die Sprachmängel geht es etwas langsamer voran als in Deutschland, aber ich habe mehr Vorlesungssemesterstunden als in Hamburg zur Verfügung. Ein Beispiel: Als es um denkbare Fertigungsalternativen für die Herstellung der Mittelelektrode einer Zündkerze ging (das ist den Studenten in Deutschland ja zunächst auch noch sachfremd), musste wir zuerst klären, was eine Zündkerze ist.
Das funktionierte folgendermaßen: Das deutsche Wort Zündkerze geben die Studenten in ihr elektronisches Wörterbuch ein und erhalten dann die Übersetzung in chinesische Zeichen: Feuer-Blume-Stoß oder zünden-Feuer-Gerät, wobei Feuer-Blume der stehende Begriff für Flamme ist; unseren stehenden Begriff Zünd-Kerze muss man ja auch erst mal kennen und darf ihn ebenso wenig wörtlich nehmen. (Wie gut, dass heute nicht der Kotflügel dran war). Ihre Übersetzung haben sie dann als Feuerzeug identifiziert. Die allermeisten hatten in ihrem Leben noch nie eine Zündkerze in der Hand gehabt. Also, zuerst Begriffsklärung. Es wusste auch keiner, mit welcher Drehzahl ein Viertaktottomotor arbeitet (Leerlauf ab 700 U/min.; Fahrbetrieb 1500 – 5000; Formel1 bis 19.000) und wievielen Zündungen die Zündkerze ausgesetzt ist (1 x in 2 Umdrehungen). Mein Eindruck bei anderen Fragestellungen ist, dass das Denken in Plausibilitäten noch nicht schwerpunktmäßig eingeübt ist. Wenn der berühmte Professor ihnen etwas vorsetzt, wird es auswendig gelernt – es wird schon stimmen! Ich glaube, dass ich den Studenten schon an ersten Tag kognitive Aha-Erlebnisse vermitteln konnte. Auf meinem Weg in die Uni morgen werde ich bei einer der zahlreichen Bastelwerkstätten für Fahrräder und Mopeds am Straßenrand eine gebrauchte Zündkerze als Anschauungsmaterial mitbringen. Dann kann ich auch kurz etwas zu den Einstellungsfehlern sagen, die man u. a. am Abbrandverhalten der Mittelelektrode ablesen kann.
Mein Name
Am Nachmittag habe ich mit Xu Jingwei (sprich: Schö Jinwei, dessen Namen ich bis zum Eintreten meines Alzheimers nie mehr zu vergessen versprochen hatte) über chinesische Wörter und den Sprachaufbau (z. B. Zündkerze) gesprochen. Er hat mir einen chinesischen Namen nach chinesischer Denkweise verpasst. Nicht die Bedeutung ist dabei wichtig (also: Hornberger = der Mensch, der vom spitz aufragenden Berg oder der aus dem Ort Hornberg stammt), sondern der Klang der Silben: Hong Bei Grr. Da hinter gleichen Silben je nach Betonung und Schriftzeichen mehrere verschiedene Bedeutungen stecken, gibt es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Mein Nachname heißt „hundertfache Überflutung“. (für Peter gibt es eine Standardübersetzung: Pei te = etwas Besonderes (an sich) tragen). Auf meinem Einwand, kein Chinese hätte einen mehrsilbigen Nachnamen, sind wir auf die Lösung Hong Pei te gekommen (Der Nachname steht immer an erster Stelle; Hong ist einer der 100 alten chinesischen Familien-Stamm-Namen und bedeutet Überflutung). Das passt so richtig zum heutigen Tag! Demnächst werde ich mir ein Siegel anfertigen lassen, dass hier oft Anstelle einer Unterschrift verwendet wird.
Erkenntnis des Tages: Von der Natur und von den Studenten und von Xu bin ich an meinem ersten Tag für mich eindrücklich eingewei(c)ht worden.
5 Kommentare:
Hi Peter,
das Sommerwetter in Hamburg ist derzeit auch nicht besser.
P.S. : Die blauen Crogs sehen nicht schlecht aus.
hallo herr Dr. Hong Bei Grr,
viele Grüße aus dem trockenen Hamburg. Vielen Dank für die Zusendung der BLOG-Adreese. Auch ich werde versuchen ihre Berichte täglich zu lesen.
Alles Gute
Stephan Gärtner
Daimler AG
Hallo, Herr Prof. Hornberger
Vielen Dank für diese schönen und interessanten Eindrücke.
Sehr gut gefallen mir die Beschreibungen zu Ihrer Lehrveranstaltung. Gern mehr!
Besten Gruß
Jörg Mutschler
Hallo, Herr Prof. Hornberger
Vielen Dank für diese schönen und interessanten Eindrücke.
Sehr gut gefallen mir die Beschreibungen zu Ihrer Lehrveranstaltung. Gern mehr!
Besten Gruß
Jörg Mutschler
Hallo, Herr Prof. Hornberger
Vielen Dank für diese schönen und interessanten Eindrücke.
Sehr gut gefallen mir die Beschreibungen zu Ihrer Lehrveranstaltung. Gern mehr!
Besten Gruß
Jörg Mutschler
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