Donnerstag, 2. Oktober 2008

Jade-Buddha-Tempel

Stadtoase
Heute bin ich recht früh losgeradelt und habe nach ein paar Erledigungen den Jade-Buddha-Tempel besucht, der als Oase der Ruhe in der Stadt eingebettet liegt und von Hochhäusern so umrankt wird, dass ich den Eindruck hatte, sie würden in die Innenhöfe hineinschauen wollen.

Der Jade-Buddha-Tempel (chin. 玉佛禅寺, Yùfó Chán Sì „Jadebuddha-Chan-Tempel“) ist als buddhistischer Tempel der kulturell bedeutendste in Shanghai. Für zwei erlesene Jade-Buddha-Skulpturen aus Birma, die jede aus einem einzigen weißen Jadeblock geschnitten sind, ist der Tempel überhaupt errichtet worden. Die sitzende Buddha-Statue ist die bekanntere, sie ist 1,95 Meter hoch und wiegt 3 Tonnen. Um sie ansehen zu können, muss man ein zweites Mal Eintritt (zusätzlich 10 Yuan zum Tempeleintritt von 20 Yuan) bezahlen, darf sie dafür aber nicht fotografieren. Die kleinere, liegende Buddha-Statue (eine Tonne) stellt Buddhas Tod dar.

In der Tempelanlage befindet sich außerdem noch eine größere liegende, marmorne Buddha-Statue aus Singapur, die als besondere Rarität die Figur des schlafenden Buddha zeigt, was seinen Eintritt ins Nirwana darstellt (erkennbar an der Hand- und Fingerstellung) und die oft mit der anderen liegenden Buddha-Statue verwechselt wird. Neben diesen beiden Prunkstücken besitzt der Tempel weitere Schätze, wie Schriftrollen aus der Tang Zeit und eine vollständige Ausgabe des buddhistischen Kanons aus dem Jahr 1890. An den Wänden jenes Raums reihen sich die Regale, in denen andere buddhistische Schriften aufbewahrt werden. In einer der vorderen Hallen befindet sich unter vielem anderen eine Figur des Medizin-Buddha aus dem 5. Jahrhundert, eine Bronzestatue des Sakyamuni (aus der Ming-Zeit) und eine hölzerne Figur der Göttin der Barmherzigkeit (Guanyin, auch aus der Ming-Dynastie). Viele weitere Skulpturen von Buddha, seinen Schülern, Engeln und himmlischen Wächtern schmücken die Anlage.



Angeschlossen ist ein buddhistisches Kloster mit Tagungsräumen, einer imposant großen Mehrzweckhalle, genannte die Halle der 1000 Buddhas, in der für mich unzählig viele davon in kleinen Nischen stehen, und ein Hotel.
Zur Geschichte des Tempels ist zu sagen, dass während der Regierungszeit des Qing-Kaisers Guang Xu (1875-1908) Hui Gen, ein Mönch aus Putuo Shan, eine Pilgerreise nach Tibet und Birma (englisch: Burma, früher Siam genannt, heutiger Staatsname offiziell Myanmar; ob man heute Birma oder Myanmar sagt, hängt auch davon ab, welche politische Einstellung man hat – oder man hat keine Ahnung, so wie manche Ausländer, die die Bundesrepublik Deutschland, die DDR und Nazideutschland auch nicht unterscheiden können) unternahm. Dort schenkte ihm Chen Jun-Pu, ein Überseechinese, fünf Buddha-Statuen aus Jade. Zwei der Statuen brachte Hui Gen per Schiff nach Shanghai und ließ mit Spendengeldern einen Tempel errichten. Die heutige Tempelanlage wurde nach der Revolution von 1911 in der Zeit von 1918 bis 1928 unter Abt Ke Chen gebaut. Eine weitere der fünf Buddha-Statuen befindet sich in Peking in der Halle der Erleuchtung (Cheng Guang Dian).

Der Tempel wurde 1979 renoviert und wird heute von Mönchen bewohnt, die für den religiösen und touristischen Betrieb zuständig sind. Ich habe hier recht viele Gläubige beim Gebet und beim Abbrennen von Räucherstäben beobachtet, darunter auch Überseechinesen und andere buddhistische Ausländer. Der Staat gibt keine Gelder für die Anlage. Gleich am Eingang sprach mich ein junger Mann an und sagte auf Englisch, ich sähe wie ein Professor aus, wegen meiner Brille; er startete die übliche Ausfragetour, wo ich herkäme, was ich in Shanghai mache und glänzte dann vertrauensbildend mit ein paar deutschen Worten. Zunächst hielt ich ihn für einen Abschlepper, der mir womöglich eine fast echte Rolex für umgerechnet unter 15 Euro verkaufen wollte oder für einen von den wenigen, englischsprechenden Chinesen, die unbedingt Kontakt mit Ausländern knüpfen wollen.

Als ich in das „Museum“ eintrat (wo alle Ausstellungsstücke Preisauszeichnungen hatten und käuflich zu erwerben waren), klettete er sich an mich und begann mir alles Mögliche zu erklären. Da er ein Halsband mit offiziell wirkendem Ausweis trug, fasste ich doch etwas vertrauen und fing nun meinerseits an, ihn richtig auszufragen. Ob er Buddhist sei, fragte ich (wie heißt der kürzeste Reim im Deutschen? „Du bist Buddhist!“). Das verneinte er vehement, er sei Christ. Das freute mich, und ich ließ nicht locker. Er sei Katholik und gehe jede Woche in die Kirche. Ich eröffnete ihm, ich sei auch Christ, (protestant Church) und wäre in Shanghai schon in der Hengshan Lu gewesen, und er kannte das als große Kirche. Er sei „Volunteer“ an dem Tempel, aber ich konnte nicht herausbekommen, was darunter genau zu verstehen sei.

Mit der Zeit wurde mir klar, dass seine Aufgabe war, Touristen zum Kauf von irgendwas aus dem Souvenirladen zu animieren, denn mit dem Verkauf der angeblich von den Mönchen angefertigten kunsthandwerklichen Gegenstände finanziert sich das Kloster. Es sei alles für Charity, also für einen guten Zweck, der mir später von einem anderen als Hilfe für Kinder in Not, ohne Schulausbildung oder ähnliches erklärt wurde. Es gab ganz viele Vasen zu kaufen. Das liegt daran, dass Vase auf Chinesisch 缾 píng heißt. Ping, genauer 平安 píng ān (fast gleiche Aussprache, anderes Schriftzeichen, andere Bedeutung), heißt aber auch heil, wohlbehalten. Wenn jemand also eine Vase aufstellt oder verschenkt, dann deutet er damit an, dass er sich und anderen Heil und ein wohlbehaltenes Leben wünscht.
Als 1952 im chinesischen Tierkreiszeichen des Drachen geborenem, empfahl er mir einen Drachen (龍, lóng) aus Jade zu kaufen, der stehe für das männliche Prinzip.
Tierkreiszeichenmäßig bin ich, notabene, mit einem Schaf (bzw. mit einer Ziege) (羊, yáng) verheiratet, und das ist doch viel besser, als wäre ich mit einem Drachen verheiratet. In Ostasien haben Drachen übrigens eine positive Bedeutung. Sie waren und sind mit den Bedeutungsräumen um die Grundkräfte der Natur, Religion und dem Kosmos verbunden. Drachen gelten als übermenschlich weise und stehen für langes Leben. Sie sind Wesen, die Menschen beschützen und beschenken. In China stehen Drachen zudem für Glück, männliche Potenz, und waren ein Zeichen des Kaisers. Es gibt in China ein Sprichwort: „Der Drache hat neun Söhne, jeder von ihnen ist verschieden“. Vom jüngsten Sohn des Drachen, von meinem Begleiter Pi Xiu genannt, gab es auch eine Statue zu kaufen. Auch die war sehr empfehlenswert, sagte er. Die komplette chinesische Kultur stammt, der Legende nach, von einem Drachen ab. Deshalb wird China auch häufig Land des Drachen genannt. Der Urdrache hatte neun Söhne, die alle bestimmte Fähigkeiten und damit auch bestimmte Aufgaben hatten. Den Regeln des Fengshui zufolge muss man den jüngsten Sohn des Drachen mit dem Gesicht zu Tür und Fenster aufstellen. Das bewahrt das Haus vor geistlichen Schäden. Auf meine Frage, ob er als Christ Fengshui befolge, antwortete mein persönlicher Betreuer, selbstverständlich, das sei sehr wichtig. Mein Einwand, wer mit Jesus Christus lebe, brauche keine Geisterabwehr, hat bei ihm völliges Unverständnis ausgelöst. Es war, als redeten wir total aneinander vorbei.
Ich zeigte mich weiterhin hartnäckig unwillig, Long, Pi Xui oder irgend eine andere angebotene Abbildung oder Figur zu kaufen; nicht mal Schmuck für meine Frau, zum Beispiel Armreifen aus kugelförmigen Halbedelsteinen mit positiver Wirkung oder mit Buddha-Figuren geschnitzte Jadesteine als Anhänger um den Hals wollte ich erwerben. Richtig betroffen gemacht hat mich der Vergleich mit dem Lachenden Buddha, der mit zum Lachen geöffnetem Mund und nacktem, weit vorgewölbtem Bauch dargestellt wird. Denn ausgerechnet auf meine Wampe wurde hingedeutet, dabei habe ich das Gefühl, schon zehn Kilo abgenommen zu haben, neue Gürtel musste ich mir kaufen – aber im Vergleich zu den rundweg gertenschlanken Chinesen wirke ich immer noch wie … der lachende Buddha. Ich verließ den Laden und mein Begleiter ließ von mir ab. Sehr praktisch ist übrigens die Kombination von Anbetungsschrein direkt inmitten des Geschenkartikelladens. Das hat man alles gleich beieinander. Die Tempelanlage und die Figuren sind mir noch sehr fremd, aber im Vergleich zu meinem ersten Besuch im daoistischen Tempel der Stadtgottheit von Shanghai konnte ich jetzt schon vieles identifizieren und zuordnen. Dennoch habe ich das Gefühl unvermindert, dass weder die in buddhistischen noch in daoistischen Tempeln betenden jungen und alten Männer und Frauen eine Theologie haben, vielmehr erscheint es mir als Sammlung von Riten, die von allen religiösen Strömungen etwas mitgenommen hat. Es fehlt nur noch, dass die katholische Heiligen- und Marienverehrung ihren Platz in der chinesischen Religion Einzug finden.

Der Jade-Buddha-Tempel ist schön, großflächig, ruhig und sauber. Er war mit roten Gebetsbändern über und über geschmückt, er war mit roten Glückslaternen über und über geschmückt und er war von roten Flaggen (der Nationalfahne) über und über geschmückt. Im ersten Innenhof war die Buddhistische Fahne gehisst und selbstverständlich auch die „Fünf-Stern-rot-Fahne“ der Volksrepublik China.

Eigentlich wollte ich noch zum Longhua-Tempel, aber nachdem ich günstig lecker Bratnudeln mit Hühnchen in einem Imbiss gegessen hatte, merke das dafür die Zeit bis zur Schließung nicht mehr recht würde ausreichen und verlegte der Wunsch auf einen anderen Termin. In der Nähe der XuJiaHui-Kathedrale (die leider nicht zugänglich war; es fand, als ich ankam, eine Hochzeit statt und später war einfach so abgesperrt – schade für mich, andere Neugierige, Touristen und Andacht suchende) machte ich eine kurze Shopping- und Preisvergleichstour.

Erkenntnis des Tages: Ich bin noch weit davon entfernt, die chinesische Denkweise über die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen.

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