Dienstag, 7. Oktober 2008

wo ist das Besondere hin?

Studienbeginn
Heute ist ein Tag, bei dem ich bei aller Zufriedenheit mit meinem Aufenthalt hier in Shanghai bedauere, dass ich nicht zu Hause bin. Denn daheim zieht heute meine älteste Tochter aus, um ihr Universitäts-Studium in einer weit entfernt liegenden, fremden Stadt zu beginnen. Genau genommen fangen die Vorlesungen erst am 20. Oktober an, aber vorher wird für Freiwillige eine Einführung in das Studium und in die Örtlichkeiten am Studienort angeboten, was bei uns an der HAW, das bereits mit dem Wintersemester 2008/2009 begonnen hat, als offizieller Teil des Studiencurriculums, Orientierungswoche genannt, gilt. Bei meinen beiden Jungs hatte ich mich jeweils zum Auftakt ihres Studiums als Transporteur von Habseligkeiten zum Studienort und als Helfer bei der Einrichtung der Studentenbude verdingt und allzu gerne hätte ich das bei meiner Tochter auch getan.
Dafür sind Väter ja eigentlich da. Ich freue mich riesig über ihren Schritt in die Selbständigkeit und mache mir natürlich meine Gedanken: wird sie es schaffen? Kriegt sie die Kurve, das wesentliche zu tun und das unwesentliche zu lassen? Wie wird sich das mit dem Studium entwickeln, das ihr vor drei Monaten noch völlig unklar war? Immerhin habe ich meine eigenen Studierenden in der Bandbreite von Überflieger bis Versager vor Augen. Aber so ist es am Anfang immer: große Chancen und große Risiken. Das ist eine wirklich schöne Phase im Leben, die ich als Vater mit Stolz erlebe, wenn ich meine studierenden Kinder besuche; wobei zuerst die Spannung überwiegt: wird es klappen?, dann der Stolz am stärksten ist: mein Kind studiert (ich glaube erfolgreich!), und schließlich die Sorgen wieder das höchste Gewicht bekommen können: ob das wohl noch gut geht, so weit über die Regelstudienzeit hinaus! Dann kann es durchaus mehr Sorgen bereiten als Freude. Jetzt lasse ich sie, Gott befohlen, ziehen. Vielleicht werden wir ab jetzt nur noch ganz sporadische Besuche haben - immerhin liegt ihr Studienort nicht vor unserer Haustür.

Neue Gäste
Inzwischen, im Endspurt des Shanghai-Einsatzes für einen meiner Professorenkollegen, sind sein Sohn und seine Schwiegertochter zu Besuch in Shanghai und wohnen bei uns im Hotel. Das ist sehr geschickt, denn um für China ein Visum zu bekommen, muss man bei der Beantragung unter anderem schon eine Bescheinigung vorlegen, wo man wohnen wird. Und diese hat unser Hotel anstandslos mitsamt obligatorischem rotem Siegel ausgestellt gehabt. Wir sind zusammen zum Abendessen, in das von uns „Wartesaal“ genannte Lokal in der Ma Dang Lu (Pinyin ist die offizielle lateinische Lautschreibung für das Hochchinesisch, Pu Tong Hua genannt; allerdings wird es völlig uneinheitlich gehandhabt, ob die einzelnen Silben, wenn es zum Beispiel ein zusammengesetztes Hauptwort ist, zusammen oder einzeln geschrieben werden) gegangen. Dort wurden wir vom Personal mit Geschrei freudig begrüßt, als seien lange vermisste Verwandte bei den Familienmitgliedern wieder aufgetaucht. Dieser Empfang tut mir richtig gut und ist für mich ein Bonus, der als Gegengewicht meine sonst nicht so ganz vorhandene Akzeptanz der sehr simplen Lokalausstattung enorm nach oben treibt. Und das wichtigste: das Essen ist ziemlich kostengünstig, es schmeckt immer sehr gut, der Koch kommt jedes Mal heraus, um zuzugucken, wie es seinen langnasigen Gästen mit den eigenartigen Tischmanieren schmeckt. Wir sitzen in der Regel an Tisch 8; nunhaben wir zwei Tische zusammen geschoben. Ein weiterer Vorteil der großen Gruppe ist die Zahl der Speisen, die man bestellen kann: je Teilnehmer eine und eine extra, aber nicht sieben! Wir waren nun zu fünft, da ist die Auswahl und Abwechslung größer, ohne dass man zu viel bestellen oder essen muss – aber leider war es heute schon wieder mehr als ich mir vorgenommen hatte. An den Neuankömmlingen habe ich außerdem bemerkt, dass mir manche Dinge schon bekannt und vertraut sind, die sie noch in Erstaunen versetzen. Ich bin also gar nicht mehr neu hier.

Erkenntnis des Tages: Die Zeit der unverdorbenen Frische des beobachtenden Neuankömmlings ist für mich unbemerkt abgelaufen. Nun muss ich viel aktiver schauen (und auch wieder mehr fotografieren!), was ich tatsächlich tagtäglich erlebe.

Keine Kommentare: