Mein Tagebuch
Mich aufzuraffen, mein Tagebuch zu schreiben, fällt mir zunehmend schwerer; es geht viel Zeit dafür drauf, denn wenn ich mal angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören. Nachdem in Hamburg das Semester gestartet hat, kommen jetzt Anfragen, die ich hier beantworten muss: Studierende wollen, dass ich ihre Studien- und Diplomarbeiten und Praxissemesterberichte von hieraus lese und kommentiere, Artikel für die Freundeskreiszeitung des Departments Maschinenbau und Produktion sollten längst geschrieben sein, die Informationsblätter für den Studiengang, für den ich verantwortlich bin, müssen redigiert werden – das sind alles Tätigkeiten, die ich tatsächlich auch von Shanghai aus termingerecht erledigen kann – Undank der modernen Telekommunikation. Dazu kommen noch die gesellschaftlichen Institutionen, in denen ich zu Hause eingebunden bin. Komisch, meine Kollegen hier kommen irgendwie entspannter davon, einer sagte sogar, er habe, außer privatem, überhaupt keinen Kontakt nach Hamburg. Deswegen habe ich heute viel Zeit am Tag für meine „Hausaufgaben“ eingesetzt – und es ist auch ein gutes Gefühl, wenn wieder etwas abgeschlossen ist. Wenn ich in meinem Hotelzimmer aufräume oder andere Tätigkeiten vollbringe, die meine geistige Konzentration nicht herausfordern, dann lade ich zum Beispiel die Nachrichtenzusammenfassung von NDR-Info ("Das war der Tag") als Podcast herunter und lausche eine halbe Stunde lang, was es in Hamburg und der Welt an neuen Nachrichten zu vermelden gibt. Deswegen bin ich ziemlich auf dem Laufenden – Dank der modernen Telekommunikation.
Marktforschung
Heute habe ich einen Erkundungsgang in verschiedenen technischen Kaufhäusern durchgezogen, denn meine Kinder haben einige spezielle Wünsche geäußert, und ich muss mir einen Marktüberblick verschaffen, was auf einem Gebiet des Fremdinteresses gar nicht so einfach ist. Das Alter meiner Kinder, in dem ich mit einem kuscheligen Stofftier und einer aufregenden Schokolade noch zum unfehlbaren, besten Papa in der Welt gekürt werden konnte, ist leider schon lange vorbei. Die Sucherei war auch ziemlich zeitaufwendig, aber ich habe das mit einer gewissen Genugtuung gerne getan und bin vorerst mit einem Bündel von Nachfragen nach Hause gekommen.

Rote Fahne
Am Abend wollte ich mir das Feuerwerk anschauen, von dem behauptet wurde, es würde am Vorabend des hiesigen Nationalfeiertages abgebrannt werden. Hin und wieder hört man auch an anderen Tagen ein inhaltlich nicht zuordenbares Knattern abbrennender Chinakracher, aber heute gab es den ganzen Abend nicht mal das zu hören, geschweige denn etwas zu sehen .Allerdings, es hängen in der ganzen Stadt jetzt viele chinesische Nationalflaggen (五星红旗, wǔxīng hóngqí, fünf-Stern-rot-Fahne). an den Laternenmasten und einige Autos sind mit ebensolchen in kleiner Ausführung geschmückt. Das Rot des Fahnentuches steht für das Blut der Märtyrer (rot ist aber auch die traditionelle chinesische Glücksfarbe: was für ein Glück für die Kommunisten!), der große fünfzackige Stern für die das ganze Land beschützende Kommunistische Partei und die vier kleinen, auf den großen ausgerichtete Sterne für die vier neuen Stände (Arbeiter, Bauern, Kleinbürger, patriotische Geschäftsleute) des klassenlosen Chinas Mao Tsetungs. Die Bedeutung der Fahnenzeichen kenne ich jedoch besser als alle Chinesen, die ich danach gefragt habe. (Kleine Frage am Rande zum bevorstehenden Tag der Deutschen Einheit: wofür steht schwarz-rot-Gold? Warum liegt der Tag der Deutschen Einheit genau auf dem 03. Oktober?)
Kommunismus
Mein Bild vom chinesischen Kommunismus stammt aus meiner Studentenzeit Mitte der Siebzigerjahre, als die Worte des großen Vorsitzenden Mao an unserer Uni in Karlsruhe in den Hörsälen kontrovers diskutiert wurden. Heute ist die Kommunistische Partei Chinas im marxistisch-leninistischen Sinn im Staat nicht mehr ideologieprägend. Das Land wird zwar noch immer von ihr regiert, aber die kommunistische Politik hat sich, weil ohne Umbruch verlaufend, nur unmerklich, aber ganz erheblich verändert. Das Wort „Kommunismus“ wird sehr wenig benutzt. Stattdessen wird von einer "Harmonischen Gesellschaft" gesprochen. Außerdem sorgen die Leute sich eigentlich mehr um ihre wirtschaftliche Entwicklung. Beim Thema Wirtschaft ist es noch schwerer zu sagen, ob sie kommunistisch oder kapitalistisch ist. Zahlreiche Unternehmen sind privat, wichtige Industrien gehören jedoch dem Staat, zum Beispiel Öl, Stahl, Bahn. Übrigens gehört aller Grundbesitz in China dem Staat.
Religionsfreiheit
Mich interessiert natürlich, wie es um Meinungsfreiheit, speziell um die Religionsfreiheit, bestellt ist. Die Volksrepublik China ist ein laizistischer Staat und nach mehr als einem halben Jahrhundert kommunistischer Herrschaft bekennt sich die Mehrheit der Chinesen zumindest offiziell zu keiner Konfession. (Vergleichbar mit den Deutschen in den Neuen Bundesländern). Zahlen zur Konfessionszugehörigkeit zu bekommen ist problematisch, weil im asiatischen Kulturkreis es normal ist, sich zu mehr als einer Religion zu bekennen.
In der Verfassung der Volksrepublik China ist der Schutz der Religion von Anfang an verankert gewesen, so lange diese durch den Staat legitimiert ist, worunter verstanden wird, dass die Religion nicht zu konterrevolutionären Tätigkeiten missbraucht wird, die Religionsausübung die öffentliche Ordnung nicht stört und die religiösen Aktivitäten durch keine ausländische Macht kontrolliert werden. Anerkannte Religionen werden akzeptiert und sogar gefördert. Wenn ich abends (um kurz vor sechs wird es jetzt dunkel) hier durch das Wohngebiet fahre, leuchten in ganz vielen Geschäften zwei rote Glühbirnen vor einem Opferschrein mit einer Gottheit, der frisches Obst geopfert wird. Offiziell werden in der Volksrepublik China heute fünf Religionen anerkannt: der Daoismus, der Buddhismus, der Islam, sowie das evangelische und katholische Christentum. Nicht von der Regierung anerkannt wird der als Aberglaube bezeichnete chinesische Volksglaube, der, weil er keine Organisation, keinen Klerus und keine Theologie hat, nur schwer zu fassen oder zu kontrollieren ist.
Als chinesischen Volksglauben bezeichnet man das Gemisch aus teils religiösen und teils nicht-religiösen Praktiken, das in allen von Chinesen bewohnten Gebieten verbreitet ist. Er vereint Elemente von Ahnenverehrung, lokalen Kulten, Buddhismus und Taoismus, Konfuzianismus, Aberglauben, Geomantie und Fengshui in sich. Es gibt sehr viele geographische Variationen und Besonderheiten. Die Bezeichnung chinesischer Volksglaube ist eine Bezeichnung, die auch nur im Ausland verwendet wird, denn es gibt keinen chinesischen Terminus dafür, er ist einfach Teil der chinesischen Kultur. Selbst bei der Planung der modernen Wolkenkratzer in Pudong wurden Fengshui-Berater hinzugezogen. Das gibt es übrigens auch in Deutschland in einigen Gemeinderäten.
Die durch die Regierung anerkannten Religionen unterliegen der Kontrolle und dem Management durch das Amt für Religiöse Angelegenheiten, welches direkt bei der Zentralregierung in Peking angesiedelt ist und Zweigstellen im ganzen Land unterhält. Dies betrifft ganz stark das katholische Christentum, das als ihr Oberhaupt offiziell nicht den Papst in Rom, sondern die kommunistische Regierung in Peking betrachten muss. Deshalb sind in der Volksrepublik China nur die sich dem Staat unterordnenden "patriotischen" Kirchen, etwa die Chinesische Katholisch-Patriotische Vereinigung, erlaubt. Diese Kirchen akzeptieren, dass in gesellschaftlichen Streitfällen, wie zum Beispiel Empfängnisverhütung oder Abtreibung, die Linie der Kommunistischen Partei Chinas und nicht die Enzyklika des Papstes für China entscheidend ist. Die römisch-katholische Kirche ist deswegen offiziell verboten. Dass die chinesische Regierung dem Christentum besonders skeptisch gegenüber steht, hat auch historische Ursachen. So bezogen sich die Führer des Taiping-Aufstands der mit 30 bis 50 Millionen Opfern zum blutigsten Bürgerkrieg der Geschichte wurde, auf die Bibel und das Christentum. Die christlichen Missionare waren ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgreich in ihrer missionarischen Tätigkeit, wurden dabei allerdings durch die militärische Macht des Westens unterstützt und behalten deshalb bis heute ihr Image, ein Werkzeug der Imperialisten zu sein. Offizielle Politik ist es, das Christentum soweit zu tolerieren, als es von Chinesen dominiert wird. Ausländern ist jede missionarische Tätigkeit untersagt. Personen, die etwa Bibeln in die Volksrepublik schmuggeln wollten, wurden wiederholt ausgewiesen. Die heutige christliche Mission wird maßgeblich von evangelikalen Gruppen aus den USA getragen. Da ist Ärger vorprogrammiert.
Der in Deutschland oft als chinesische Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform zur Kultivierung von Körper und Geist missinterpretierte Falun Gong ist eine in China entstandene, neue religiöse Bewegung auf der Basis von Qi Gong, wurde erstmals 1992 in der Volksrepublik China in der Öffentlichkeit vorgestellt und hat sich seitdem weltweit verbreitet. Dieser Gemeinschaft wird vorgeworfen, unter anderem öffentliche Selbstverbrennungen zu propagieren. So kam es seit 1999 in China zum Verbot und darauf folgender staatlicher Verfolgung.
Der nicht als Religion geltende Konfuzianismus bestimmt bis heute die moralischen Verhaltensweisen der Chinesen, obwohl er speziell unter Mao Tsetung schwer bekämpft wurde.
Yu Yuan
Ich bin in den geschäftigen Yu Yuan Garten geradelt, um dort ein bisschen von der Atmosphäre mitzunehmen, das abendliche Treiben zu beobachten und einen Happen zu essen. Schön, aber teilweise auch an der Grenze zum Kitschigen beleuchtet, sind die im ganz traditionellen chinesischen Stil neu gebauten Häuser dort anzusehen. Das zentrale Teehaus ist baugleich noch einmal nacherrichtet worden, und gerade in der letzten Woche wurde es feierlich eingeweiht. Der zweite Bau steht direkt am Völkerkundemuseum in Hamburg und ist ein Geschenk der Stadt Shanghai an ihre deutsche Partnerstadt.

Ich bin an einem im McDonalds-Stil aufgemachten chinesischen Pendant riesigen Ausmaßes vorbeigegangen und habe in einem Lokal gegessen, das ich chinesischer fand. Dort wurde ich als Einzelperson an einen größeren Tisch gesetzt, an dem drei Chinesen saßen, die offensichtlich Touristen aus einer fernen, anderssprachigen Provinz in der faszinierenden Großstadt und von eher derbem Benehmen geprägt waren. Es war interessant, hier Feldstudien zu machen. Ab 21.00 Uhr wurden langsam, einer nach dem andern, die Geschäfte geschlossen und die Betriebsamkeit verlief sich allmählich. Ab 22.00 Uhr wurden in der Stadt die grellen Leuchtreklamen und Gebäudebeleuchtungen abgeschaltet. Kein Feuerwerk weit und breit. Die Chinesen gehen rechtzeitig zu Bett – auch am Vorabend des Nationalfeiertages.

Erkenntnis des Tages: Meine ideologischen Erwartungen haben sich trotz besten Bemühens bisher noch nicht erfüllen lassen.
Mich aufzuraffen, mein Tagebuch zu schreiben, fällt mir zunehmend schwerer; es geht viel Zeit dafür drauf, denn wenn ich mal angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören. Nachdem in Hamburg das Semester gestartet hat, kommen jetzt Anfragen, die ich hier beantworten muss: Studierende wollen, dass ich ihre Studien- und Diplomarbeiten und Praxissemesterberichte von hieraus lese und kommentiere, Artikel für die Freundeskreiszeitung des Departments Maschinenbau und Produktion sollten längst geschrieben sein, die Informationsblätter für den Studiengang, für den ich verantwortlich bin, müssen redigiert werden – das sind alles Tätigkeiten, die ich tatsächlich auch von Shanghai aus termingerecht erledigen kann – Undank der modernen Telekommunikation. Dazu kommen noch die gesellschaftlichen Institutionen, in denen ich zu Hause eingebunden bin. Komisch, meine Kollegen hier kommen irgendwie entspannter davon, einer sagte sogar, er habe, außer privatem, überhaupt keinen Kontakt nach Hamburg. Deswegen habe ich heute viel Zeit am Tag für meine „Hausaufgaben“ eingesetzt – und es ist auch ein gutes Gefühl, wenn wieder etwas abgeschlossen ist. Wenn ich in meinem Hotelzimmer aufräume oder andere Tätigkeiten vollbringe, die meine geistige Konzentration nicht herausfordern, dann lade ich zum Beispiel die Nachrichtenzusammenfassung von NDR-Info ("Das war der Tag") als Podcast herunter und lausche eine halbe Stunde lang, was es in Hamburg und der Welt an neuen Nachrichten zu vermelden gibt. Deswegen bin ich ziemlich auf dem Laufenden – Dank der modernen Telekommunikation.
Marktforschung
Heute habe ich einen Erkundungsgang in verschiedenen technischen Kaufhäusern durchgezogen, denn meine Kinder haben einige spezielle Wünsche geäußert, und ich muss mir einen Marktüberblick verschaffen, was auf einem Gebiet des Fremdinteresses gar nicht so einfach ist. Das Alter meiner Kinder, in dem ich mit einem kuscheligen Stofftier und einer aufregenden Schokolade noch zum unfehlbaren, besten Papa in der Welt gekürt werden konnte, ist leider schon lange vorbei. Die Sucherei war auch ziemlich zeitaufwendig, aber ich habe das mit einer gewissen Genugtuung gerne getan und bin vorerst mit einem Bündel von Nachfragen nach Hause gekommen.

Rote Fahne
Am Abend wollte ich mir das Feuerwerk anschauen, von dem behauptet wurde, es würde am Vorabend des hiesigen Nationalfeiertages abgebrannt werden. Hin und wieder hört man auch an anderen Tagen ein inhaltlich nicht zuordenbares Knattern abbrennender Chinakracher, aber heute gab es den ganzen Abend nicht mal das zu hören, geschweige denn etwas zu sehen .Allerdings, es hängen in der ganzen Stadt jetzt viele chinesische Nationalflaggen (五星红旗, wǔxīng hóngqí, fünf-Stern-rot-Fahne). an den Laternenmasten und einige Autos sind mit ebensolchen in kleiner Ausführung geschmückt. Das Rot des Fahnentuches steht für das Blut der Märtyrer (rot ist aber auch die traditionelle chinesische Glücksfarbe: was für ein Glück für die Kommunisten!), der große fünfzackige Stern für die das ganze Land beschützende Kommunistische Partei und die vier kleinen, auf den großen ausgerichtete Sterne für die vier neuen Stände (Arbeiter, Bauern, Kleinbürger, patriotische Geschäftsleute) des klassenlosen Chinas Mao Tsetungs. Die Bedeutung der Fahnenzeichen kenne ich jedoch besser als alle Chinesen, die ich danach gefragt habe. (Kleine Frage am Rande zum bevorstehenden Tag der Deutschen Einheit: wofür steht schwarz-rot-Gold? Warum liegt der Tag der Deutschen Einheit genau auf dem 03. Oktober?)
Kommunismus
Mein Bild vom chinesischen Kommunismus stammt aus meiner Studentenzeit Mitte der Siebzigerjahre, als die Worte des großen Vorsitzenden Mao an unserer Uni in Karlsruhe in den Hörsälen kontrovers diskutiert wurden. Heute ist die Kommunistische Partei Chinas im marxistisch-leninistischen Sinn im Staat nicht mehr ideologieprägend. Das Land wird zwar noch immer von ihr regiert, aber die kommunistische Politik hat sich, weil ohne Umbruch verlaufend, nur unmerklich, aber ganz erheblich verändert. Das Wort „Kommunismus“ wird sehr wenig benutzt. Stattdessen wird von einer "Harmonischen Gesellschaft" gesprochen. Außerdem sorgen die Leute sich eigentlich mehr um ihre wirtschaftliche Entwicklung. Beim Thema Wirtschaft ist es noch schwerer zu sagen, ob sie kommunistisch oder kapitalistisch ist. Zahlreiche Unternehmen sind privat, wichtige Industrien gehören jedoch dem Staat, zum Beispiel Öl, Stahl, Bahn. Übrigens gehört aller Grundbesitz in China dem Staat.
Religionsfreiheit
Mich interessiert natürlich, wie es um Meinungsfreiheit, speziell um die Religionsfreiheit, bestellt ist. Die Volksrepublik China ist ein laizistischer Staat und nach mehr als einem halben Jahrhundert kommunistischer Herrschaft bekennt sich die Mehrheit der Chinesen zumindest offiziell zu keiner Konfession. (Vergleichbar mit den Deutschen in den Neuen Bundesländern). Zahlen zur Konfessionszugehörigkeit zu bekommen ist problematisch, weil im asiatischen Kulturkreis es normal ist, sich zu mehr als einer Religion zu bekennen.
In der Verfassung der Volksrepublik China ist der Schutz der Religion von Anfang an verankert gewesen, so lange diese durch den Staat legitimiert ist, worunter verstanden wird, dass die Religion nicht zu konterrevolutionären Tätigkeiten missbraucht wird, die Religionsausübung die öffentliche Ordnung nicht stört und die religiösen Aktivitäten durch keine ausländische Macht kontrolliert werden. Anerkannte Religionen werden akzeptiert und sogar gefördert. Wenn ich abends (um kurz vor sechs wird es jetzt dunkel) hier durch das Wohngebiet fahre, leuchten in ganz vielen Geschäften zwei rote Glühbirnen vor einem Opferschrein mit einer Gottheit, der frisches Obst geopfert wird. Offiziell werden in der Volksrepublik China heute fünf Religionen anerkannt: der Daoismus, der Buddhismus, der Islam, sowie das evangelische und katholische Christentum. Nicht von der Regierung anerkannt wird der als Aberglaube bezeichnete chinesische Volksglaube, der, weil er keine Organisation, keinen Klerus und keine Theologie hat, nur schwer zu fassen oder zu kontrollieren ist.
Als chinesischen Volksglauben bezeichnet man das Gemisch aus teils religiösen und teils nicht-religiösen Praktiken, das in allen von Chinesen bewohnten Gebieten verbreitet ist. Er vereint Elemente von Ahnenverehrung, lokalen Kulten, Buddhismus und Taoismus, Konfuzianismus, Aberglauben, Geomantie und Fengshui in sich. Es gibt sehr viele geographische Variationen und Besonderheiten. Die Bezeichnung chinesischer Volksglaube ist eine Bezeichnung, die auch nur im Ausland verwendet wird, denn es gibt keinen chinesischen Terminus dafür, er ist einfach Teil der chinesischen Kultur. Selbst bei der Planung der modernen Wolkenkratzer in Pudong wurden Fengshui-Berater hinzugezogen. Das gibt es übrigens auch in Deutschland in einigen Gemeinderäten.
Die durch die Regierung anerkannten Religionen unterliegen der Kontrolle und dem Management durch das Amt für Religiöse Angelegenheiten, welches direkt bei der Zentralregierung in Peking angesiedelt ist und Zweigstellen im ganzen Land unterhält. Dies betrifft ganz stark das katholische Christentum, das als ihr Oberhaupt offiziell nicht den Papst in Rom, sondern die kommunistische Regierung in Peking betrachten muss. Deshalb sind in der Volksrepublik China nur die sich dem Staat unterordnenden "patriotischen" Kirchen, etwa die Chinesische Katholisch-Patriotische Vereinigung, erlaubt. Diese Kirchen akzeptieren, dass in gesellschaftlichen Streitfällen, wie zum Beispiel Empfängnisverhütung oder Abtreibung, die Linie der Kommunistischen Partei Chinas und nicht die Enzyklika des Papstes für China entscheidend ist. Die römisch-katholische Kirche ist deswegen offiziell verboten. Dass die chinesische Regierung dem Christentum besonders skeptisch gegenüber steht, hat auch historische Ursachen. So bezogen sich die Führer des Taiping-Aufstands der mit 30 bis 50 Millionen Opfern zum blutigsten Bürgerkrieg der Geschichte wurde, auf die Bibel und das Christentum. Die christlichen Missionare waren ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgreich in ihrer missionarischen Tätigkeit, wurden dabei allerdings durch die militärische Macht des Westens unterstützt und behalten deshalb bis heute ihr Image, ein Werkzeug der Imperialisten zu sein. Offizielle Politik ist es, das Christentum soweit zu tolerieren, als es von Chinesen dominiert wird. Ausländern ist jede missionarische Tätigkeit untersagt. Personen, die etwa Bibeln in die Volksrepublik schmuggeln wollten, wurden wiederholt ausgewiesen. Die heutige christliche Mission wird maßgeblich von evangelikalen Gruppen aus den USA getragen. Da ist Ärger vorprogrammiert.
Der in Deutschland oft als chinesische Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform zur Kultivierung von Körper und Geist missinterpretierte Falun Gong ist eine in China entstandene, neue religiöse Bewegung auf der Basis von Qi Gong, wurde erstmals 1992 in der Volksrepublik China in der Öffentlichkeit vorgestellt und hat sich seitdem weltweit verbreitet. Dieser Gemeinschaft wird vorgeworfen, unter anderem öffentliche Selbstverbrennungen zu propagieren. So kam es seit 1999 in China zum Verbot und darauf folgender staatlicher Verfolgung.
Der nicht als Religion geltende Konfuzianismus bestimmt bis heute die moralischen Verhaltensweisen der Chinesen, obwohl er speziell unter Mao Tsetung schwer bekämpft wurde.
Ich bin in den geschäftigen Yu Yuan Garten geradelt, um dort ein bisschen von der Atmosphäre mitzunehmen, das abendliche Treiben zu beobachten und einen Happen zu essen. Schön, aber teilweise auch an der Grenze zum Kitschigen beleuchtet, sind die im ganz traditionellen chinesischen Stil neu gebauten Häuser dort anzusehen. Das zentrale Teehaus ist baugleich noch einmal nacherrichtet worden, und gerade in der letzten Woche wurde es feierlich eingeweiht. Der zweite Bau steht direkt am Völkerkundemuseum in Hamburg und ist ein Geschenk der Stadt Shanghai an ihre deutsche Partnerstadt.
Ich bin an einem im McDonalds-Stil aufgemachten chinesischen Pendant riesigen Ausmaßes vorbeigegangen und habe in einem Lokal gegessen, das ich chinesischer fand. Dort wurde ich als Einzelperson an einen größeren Tisch gesetzt, an dem drei Chinesen saßen, die offensichtlich Touristen aus einer fernen, anderssprachigen Provinz in der faszinierenden Großstadt und von eher derbem Benehmen geprägt waren. Es war interessant, hier Feldstudien zu machen. Ab 21.00 Uhr wurden langsam, einer nach dem andern, die Geschäfte geschlossen und die Betriebsamkeit verlief sich allmählich. Ab 22.00 Uhr wurden in der Stadt die grellen Leuchtreklamen und Gebäudebeleuchtungen abgeschaltet. Kein Feuerwerk weit und breit. Die Chinesen gehen rechtzeitig zu Bett – auch am Vorabend des Nationalfeiertages.
Erkenntnis des Tages: Meine ideologischen Erwartungen haben sich trotz besten Bemühens bisher noch nicht erfüllen lassen.