Lazy Sunday
Am heutigen Sonntag brauchte ich mal ein bisschen Zeit zum entspannen. Das erste Mal nach Überwindung des Jetlags habe ich lange ausgeschlafen. Dann habe ich mir eine Predigt aus dem Internet angehört. Ich finde, dass das Internet ein Segen ist. Ohne könnte ich kein Blog schreiben. Ein konventionelles Tagebuch ginge zu schreiben zwar auch, aber das Lesen eben nicht direkt, unmittelbar am Ereignis. Das Blog ist aber nur interessant, wenn es zuverlässig täglich erscheint – und das ist für mich dann doch eine kleine Rache des Internet. Heute empfinde ich das zum Beispiel so, denn ich muss den gestrigen Tag nachtragen, weil ich mir gestern Abend endlich Zeit zum Lesen gegönnt habe.
In der Gemeinschaft und Familie geborgen
Ich bin gefragt worden, wie es mit Gewalt und Kriminalität in Shanghai aussieht. Das kann ich nicht wirklich mit Insiderkenntnis beurteilen. Um das von offizieller Seite zu erfahren oder auch von ganz normalen Menschen, fehlt mir die Sprachfähigkeit. Ich gehe mal davon aus, dass die offiziellen Stellen hier auch nicht an Veröffentlichung interessiert sind und die Menschen nicht sonderlich an der Information darüber. Es ist typisch chinesisch, nicht aufzufallen und sich nicht mit einer vom Kollektiv abweichenden Meinung zu versehen. Das ist keine erst vom Kommunismus aufgezwungene oder neuerdings angelernte Haltung und auch keine widerwillig ausgeführte, die sich bei Wegfall eines äußeren Druckes ins Gegenteil verkehren würde. Schon immer galt in China die Gemeinschaft vor dem Individuum. Und weil die Chinesen schon immer eng aufeinander wohnen mussten, unterstanden sie auch schon immer einer Kontrolle durch die Umgebung. Die Shanghaier sagten mir, Gewalt sei vielleicht in Peking ein Problem. Diebstahl gäbe es natürlich auch im Shanghai, vor allem im Gedränge, wenn dem Dieb sich eine Gelegenheit geschaffen würde, aber Gewalt sei kein Problem. Subjektiv empfinde ich das auch so. Nachts im Dunklen bewege ich mich unbesorgt durch die Straßen und ich achte auf geschlossene Taschen. Es sind immer irgendwelche Menschen in der Nähe. Vielleicht deswegen spielt vor allem die Familie in der Gesellschaft die maßgebliche Rolle. Familienzugehörigkeit und –pflege sind ganz wichtig und dafür hat auch jeder Verständnis. Dabei ist nicht nur die neue Ein-Kind-Familie gemeint, sondern die ganze Verwandtschaft. Das drückt sich auch in der Sprache aus. Es gibt in China nicht wie im Deutschen einfach nur Brüder und Schwestern, Großväter und Großmütter, Onkel und Tanten, sondern nach Alter und Abstammung jüngere und ältere Verwandte mütterlicher- und väterlicherseits. Da man sich mit diesen Bezeichnungen auch anspricht, kann ein Außenstehender durch bloßes Zuhören herausfinden, in welcher Beziehung die Mitglieder einer versammelten Großfamilie zueinander stehen. Ein jüngerer Bruder ist der Di Di, ein älterer der Ge Ge. Eine jüngere Schwester ist die Mei Mei, eine ältere die Jie Jie. Gibt es mehrere Schwestern und Brüder, wird durchnummeriert. Dann ist die zweitjüngere Schwester die die Er Mei und der drittälteste Bruder der San Ge. Ein Onkel mütterlicherseits heißt Xiao Jiu, wenn er jünger ist als die Mutter, ist er älter, heißt er Da Jiu; stammt er aus der Vätelichen Linie und ist jünger als der Vater, heißt er Xiao Shu, ist er älter, wird er Da Bo genannt. Da eine Frau mit der Heirat ihre eigene Familie verlässt und fortan der des Mannes angehört, obwohl sie auch weiterhin ihren Mädchennamen trägt, gelten ihre Angehörigen als die „von außen Kommenden“. Die Kinder nennen deshalb die Großeltern mütterlicherseits Wai Gong, „äußerer Opa“ und Wai Po, „äußere Oma“, während es väterlicherseits Ye Ye und Nai Nai heißen muss. Das hört sich sehr kompliziert an, klappt aber offensichtlich seit Jahrtausenden. Ich bin sicher, dass die Chinesen eine pragmatische Lösung finden werden, wenn auch sie die bei uns schon weit verbreitete Patchworkfamilienstruktur als Fortschritt aus dem Westen übernehmen werden. McDonalds (麦当劳 màidāngláo Weizen-sogleich-arbeiten), Nivea (妮维雅 nīwéiyǎ Mädchen-bewahren-elegant), Volkswagen (大众汽车 dàzhòngqìchē groß-Menge-Dampf-Wagen) und „Wetten, dass?“ ("想挑战吗?“ xiang tiao zhan ma? denken-auswählen-kämpfen-[FP]?) am Samstagabend sind schon lange da.

Hauptverkehrsmittel Fahrrad
Am Nachmittag musste ich unbedingt mal aus dem Haus raus, fuhr zuerst bei der nächsten Fahrradreparaturbude vorbei und leistete mir einen neuen Sattel, denn der Luftdruck in den Reifen und die Federung im ohnehin schon kaputten alten Sattel waren auf leichtgewichtige Chinesen und nicht auf mich eingestellt. Ich wollte meinem Hintern eine angenehme Weichheit während meines Aufenthaltes in Shanghai gönnen. Zum Glück habe ich ein 28“-Rad; viele Räder, die hier gängig sind, haben nur 24“ oder gar nur 20“. Einige ältere fahren noch mit Nummernschildern herum, weil vor Jahren, wie in der Schweiz, eine offizielle Registrierung nötig war. Das ist vorbei.




Markthalle
Auf dem Weg zur Longhua-Pagode kam ich zufällig an einer Markthalle vorüber, wo ich mir das Angebot anschaute.
Das Gemüse ist üppig, und es werden Sorten angeboten, die es in Deutschland nicht gibt. Vor allem viele Arten von Pilzen gehören zur Chinesischen Küche. Es gab Fleisch (Motorgetriebene Wedel verscheuchten die Fliegen automatisch) und Fisch, ganz viel Meeresgetier und Pflanzen aus dem Meer sowie alle möglichen Getreideprodukte. Obwohl ich von chinesischen Studenten in Deutschland gehört hatte, dass sie es unappetitlich fanden, dass in Deutschland der Frischfisch tot verkauft und nicht vor dem Kunden geschlachtet würde, habe ich solche Zustände in dieser Markthalle und anderswo auch gesehen. Wer im Süden Europas schon die Märkte angeschaut hat, wird das meiste, was hier angeboten wird, kennen. Als besondere Leckereien gelten hier im englischen so bezeichnete „Drumsticks“ und die wörtlich übersetzt so genannten „Feldhühnchen“. Das auf der Spiesekarte zu lesen, lässt den Appetit doch anschwellen. Bei ersterem handelt es sich um Hühnerbeine, die kross gebraten werden; und letzte sind Ochsenfrösche, die man im Ganzen gart werden. Hunde gab es nur an der Leine, und sie schienen mir für die sie ausführenden Frauen eher ein Kind-Ersatz zu sein als ein Leckerbissen für die Bratpfanne.
Ich bin noch bis zur Longhua-Pagode, noch jenseits des neuen Shanghaier Olympia-Fußballstadions geradelt und habe dort viel für mich nicht einordenbares gesehen und alles intensivst fotografiert. Bevor ich darüber berichten kann, muss ich mich über diese Rätsel erst mal schau machen. Sonst lassen sich die Chinesen begeistert fotografieren; dort erlebte ich erstmals helle Entrüstung, als ich die Handlinienleser und Orakeldeuter bei der Arbeit ablichten wollte.
Erkenntnis des Tages: Noch immer begegnen mir bei stinknormalen Alltagsbegebenheiten unentdeckte Welten.
Am heutigen Sonntag brauchte ich mal ein bisschen Zeit zum entspannen. Das erste Mal nach Überwindung des Jetlags habe ich lange ausgeschlafen. Dann habe ich mir eine Predigt aus dem Internet angehört. Ich finde, dass das Internet ein Segen ist. Ohne könnte ich kein Blog schreiben. Ein konventionelles Tagebuch ginge zu schreiben zwar auch, aber das Lesen eben nicht direkt, unmittelbar am Ereignis. Das Blog ist aber nur interessant, wenn es zuverlässig täglich erscheint – und das ist für mich dann doch eine kleine Rache des Internet. Heute empfinde ich das zum Beispiel so, denn ich muss den gestrigen Tag nachtragen, weil ich mir gestern Abend endlich Zeit zum Lesen gegönnt habe.
In der Gemeinschaft und Familie geborgen
Ich bin gefragt worden, wie es mit Gewalt und Kriminalität in Shanghai aussieht. Das kann ich nicht wirklich mit Insiderkenntnis beurteilen. Um das von offizieller Seite zu erfahren oder auch von ganz normalen Menschen, fehlt mir die Sprachfähigkeit. Ich gehe mal davon aus, dass die offiziellen Stellen hier auch nicht an Veröffentlichung interessiert sind und die Menschen nicht sonderlich an der Information darüber. Es ist typisch chinesisch, nicht aufzufallen und sich nicht mit einer vom Kollektiv abweichenden Meinung zu versehen. Das ist keine erst vom Kommunismus aufgezwungene oder neuerdings angelernte Haltung und auch keine widerwillig ausgeführte, die sich bei Wegfall eines äußeren Druckes ins Gegenteil verkehren würde. Schon immer galt in China die Gemeinschaft vor dem Individuum. Und weil die Chinesen schon immer eng aufeinander wohnen mussten, unterstanden sie auch schon immer einer Kontrolle durch die Umgebung. Die Shanghaier sagten mir, Gewalt sei vielleicht in Peking ein Problem. Diebstahl gäbe es natürlich auch im Shanghai, vor allem im Gedränge, wenn dem Dieb sich eine Gelegenheit geschaffen würde, aber Gewalt sei kein Problem. Subjektiv empfinde ich das auch so. Nachts im Dunklen bewege ich mich unbesorgt durch die Straßen und ich achte auf geschlossene Taschen. Es sind immer irgendwelche Menschen in der Nähe. Vielleicht deswegen spielt vor allem die Familie in der Gesellschaft die maßgebliche Rolle. Familienzugehörigkeit und –pflege sind ganz wichtig und dafür hat auch jeder Verständnis. Dabei ist nicht nur die neue Ein-Kind-Familie gemeint, sondern die ganze Verwandtschaft. Das drückt sich auch in der Sprache aus. Es gibt in China nicht wie im Deutschen einfach nur Brüder und Schwestern, Großväter und Großmütter, Onkel und Tanten, sondern nach Alter und Abstammung jüngere und ältere Verwandte mütterlicher- und väterlicherseits. Da man sich mit diesen Bezeichnungen auch anspricht, kann ein Außenstehender durch bloßes Zuhören herausfinden, in welcher Beziehung die Mitglieder einer versammelten Großfamilie zueinander stehen. Ein jüngerer Bruder ist der Di Di, ein älterer der Ge Ge. Eine jüngere Schwester ist die Mei Mei, eine ältere die Jie Jie. Gibt es mehrere Schwestern und Brüder, wird durchnummeriert. Dann ist die zweitjüngere Schwester die die Er Mei und der drittälteste Bruder der San Ge. Ein Onkel mütterlicherseits heißt Xiao Jiu, wenn er jünger ist als die Mutter, ist er älter, heißt er Da Jiu; stammt er aus der Vätelichen Linie und ist jünger als der Vater, heißt er Xiao Shu, ist er älter, wird er Da Bo genannt. Da eine Frau mit der Heirat ihre eigene Familie verlässt und fortan der des Mannes angehört, obwohl sie auch weiterhin ihren Mädchennamen trägt, gelten ihre Angehörigen als die „von außen Kommenden“. Die Kinder nennen deshalb die Großeltern mütterlicherseits Wai Gong, „äußerer Opa“ und Wai Po, „äußere Oma“, während es väterlicherseits Ye Ye und Nai Nai heißen muss. Das hört sich sehr kompliziert an, klappt aber offensichtlich seit Jahrtausenden. Ich bin sicher, dass die Chinesen eine pragmatische Lösung finden werden, wenn auch sie die bei uns schon weit verbreitete Patchworkfamilienstruktur als Fortschritt aus dem Westen übernehmen werden. McDonalds (麦当劳 màidāngláo Weizen-sogleich-arbeiten), Nivea (妮维雅 nīwéiyǎ Mädchen-bewahren-elegant), Volkswagen (大众汽车 dàzhòngqìchē groß-Menge-Dampf-Wagen) und „Wetten, dass?“ ("想挑战吗?“ xiang tiao zhan ma? denken-auswählen-kämpfen-[FP]?) am Samstagabend sind schon lange da.
Hauptverkehrsmittel Fahrrad
Am Nachmittag musste ich unbedingt mal aus dem Haus raus, fuhr zuerst bei der nächsten Fahrradreparaturbude vorbei und leistete mir einen neuen Sattel, denn der Luftdruck in den Reifen und die Federung im ohnehin schon kaputten alten Sattel waren auf leichtgewichtige Chinesen und nicht auf mich eingestellt. Ich wollte meinem Hintern eine angenehme Weichheit während meines Aufenthaltes in Shanghai gönnen. Zum Glück habe ich ein 28“-Rad; viele Räder, die hier gängig sind, haben nur 24“ oder gar nur 20“. Einige ältere fahren noch mit Nummernschildern herum, weil vor Jahren, wie in der Schweiz, eine offizielle Registrierung nötig war. Das ist vorbei.
Markthalle
Auf dem Weg zur Longhua-Pagode kam ich zufällig an einer Markthalle vorüber, wo ich mir das Angebot anschaute.
Das Gemüse ist üppig, und es werden Sorten angeboten, die es in Deutschland nicht gibt. Vor allem viele Arten von Pilzen gehören zur Chinesischen Küche. Es gab Fleisch (Motorgetriebene Wedel verscheuchten die Fliegen automatisch) und Fisch, ganz viel Meeresgetier und Pflanzen aus dem Meer sowie alle möglichen Getreideprodukte. Obwohl ich von chinesischen Studenten in Deutschland gehört hatte, dass sie es unappetitlich fanden, dass in Deutschland der Frischfisch tot verkauft und nicht vor dem Kunden geschlachtet würde, habe ich solche Zustände in dieser Markthalle und anderswo auch gesehen. Wer im Süden Europas schon die Märkte angeschaut hat, wird das meiste, was hier angeboten wird, kennen. Als besondere Leckereien gelten hier im englischen so bezeichnete „Drumsticks“ und die wörtlich übersetzt so genannten „Feldhühnchen“. Das auf der Spiesekarte zu lesen, lässt den Appetit doch anschwellen. Bei ersterem handelt es sich um Hühnerbeine, die kross gebraten werden; und letzte sind Ochsenfrösche, die man im Ganzen gart werden. Hunde gab es nur an der Leine, und sie schienen mir für die sie ausführenden Frauen eher ein Kind-Ersatz zu sein als ein Leckerbissen für die Bratpfanne.
Ich bin noch bis zur Longhua-Pagode, noch jenseits des neuen Shanghaier Olympia-Fußballstadions geradelt und habe dort viel für mich nicht einordenbares gesehen und alles intensivst fotografiert. Bevor ich darüber berichten kann, muss ich mich über diese Rätsel erst mal schau machen. Sonst lassen sich die Chinesen begeistert fotografieren; dort erlebte ich erstmals helle Entrüstung, als ich die Handlinienleser und Orakeldeuter bei der Arbeit ablichten wollte.
Erkenntnis des Tages: Noch immer begegnen mir bei stinknormalen Alltagsbegebenheiten unentdeckte Welten.
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