Falsche Hoffnungen geweckt
Als ich heute früh ausstand, waren die Wolkenkratzer verschwunden: starker Nebel verkürzte die Sichtweite so sehr, dass von Shanghai nur noch die Ausdehnung eines Dorfes in der Lüneburger Heide zu sehen war.
Nach der Vorlesung fragten mich einige meiner Studierenden, ob ich mit ihnen zusammen zum Essen in die Mensa gehen wollte. Mit ihnen zusammen gehen wollte ich gerne, in der Mensa essen wollte ich nicht, weil ich lieber die erfolgreiche Serie meines Kalorienverzichts nicht unterbrechen wollte. Das schien mir zu kompliziert, schnell zu erklären zu sein und so sagte ich einfach „ja“ und fand mich darauf, neben dem obligatorischen Reis, u.a. mit Kao Fu auf dem Tablett und mit ihnen am Tisch sitzend wieder (Zur Erinnerung: Kao Fu ist das braune, in Würfel geschnittene Ergebnis einer Soja-Fermentierung von der Konsistenz eines Badeschwamms). Meine Nachbarin sagte, das Gericht heiße „verlässlicher Ehemann“, und ich überlegte mir sogleich, welche medizinähnliche Wirkung die Chinesen dieser Speise wohl nachsagen mögen, von der eine Frau bei ihrem Mann sich besonders verlässlich eine Auswirkung erhofft, die etwas mit Ehe zu tun haben muss. Immerhin lagen gut 25 Kuben auf meinem Tablett und ich konnte noch nicht abschätzen, wie viele davon Wirkung zeigen würden. Denn die Chinesen schreiben jeder Speise irgendeinen Einfluss auf den menschlichen Körper zu. Grüner Tee wäscht z. B. den Magen-Darm-Trakt. Die richtige Lösung meiner intimen Frage ist einer Besonderheit der chinesischen Sprache zu verdanken, die gerne zu Wortscherzen benutzt wird. Kao Fu klingt nämlich wie Kao Fu, und in der einen Bedeutung ist es der Name der Speise und in der anderen heißt es eben „verlässlicher Ehemann“. Es gibt zwar vier Töne, mit denen eine Silbe, für chinesische Ohren hörbar unterscheidbar, ausgesprochen werden kann, trotzdem haben auch die gleich ausgesprochenen Silben immer mehrere Bedeutungen, und stets steht dahinter ein anderes Schriftzeichen. So weist das sehr ergiebige www.chinaboard.de für die Fu ausgesprochene Silbe 67 verschiedene Bedeutungen aus:
氟 Fluor, 副 sekundär, stellvertretend, Vize- 副 Zähleinheitswort für paarweise Objekte z.B. Handschuhe, Brille 复 [復] duplizieren, verdoppeln 复 [復] erneut, abermals 复 [復] wiederholen 复 [復] komplex [Math], 夫 Mann 夫 Fu [Fam] 敷 anlegen, anwenden 肤 [膚] Fell, Haut 孵 ausbrüten, brüten 鈇 Axt, Beil 麸 [麩] Kleie 砆 Achat 趺 Rist 跗 Rist 衭 Rockaufschlag 仏 Buddha 幅 wickeln, drehen 幅 Zähleinheitswort für Kunstwerke z.B. für Gemälde 福 Glück 福 Fu [Fam] 服 einnehmen [Med] 服 etw. auf sich nehmen, übernehmen 服 jmd. überzeugen 服 Kleidung 服 sich einleben/ eingewöhnen/ akklimatisieren 服 Fu [Fam] 浮 gleiten, verhalten laufen [Sport] 浮 Fu [Fam] 浮 treiben, dahintreiben 弗 nicht 弗 Fu [Fam] 孚 vertrauen, sich verlassen, trauen 符 übereinstimmen, zusammentreffen 符 entsprechen, übereinstimmen 符 versiegeln 符 Zeichen 符 Fu [Fam] 刜 drücken, treffen 刜 spalten, abschneiden 扶 helfen 扶 Fu [Fam] 伏 sich unterwerfen, abschicken 伏 verbergen, verhehlen 伏 Volt 伏 Fu [Fam] 葍 Glimmstängel, Glimmstengel [alt] 蚨 Geld 缚 [ 縛 ] verbinden, binden 怫 ängstlich, ängstlich, besorgt 芙 Lotos [Bio] 祓 reinigen 菔 Rübe, Steckrübe 桴 Strahl 艴 aufgebracht, ärgerlich, verärgert.
Als ein Student mir Kao Fu auf Chinesisch aufschreiben sollte, hat er dreimal neu angesetzt, jedesmal ein anderes Schriftzeichen schreibend, und erst nach Beratung mit den anderen hat er das richtige gefunden gehabt. Schade, Kao Fu bringt also doch nicht das, was sein (Scherz-)Name zu leisten verspricht.
In die höchste Höhe hinauf
Am Nachmittag war das Hamburg-Shanghai-College (SHC) wie ausgestorben, denn alle chinesischen Professoren waren zur Erstsemester-Begrüßungsfeier zum Jun Gong-Campus abgefahren und die Studenten nutzen den freien Freitagnachmittag, um etwas früher in das um den Mondfest-Feiertag am kommenden Montag verlängerte Wochenende zu entfliehen. Wir deutschen Professoren waren vom SHC als ganz normale Besucher zur Besichtigung des neueröffneten Shanghai World Financial Center (SWFC), des mit 492 m zweithöchsten Gebäudes der Welt, eingeladen worden. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, die beide auch Xü heißen, waren uns zur Begleitung über den Huangpu nach Pudong und zur Konversation beigestellt. Dass das Gebäude nicht noch um 8 m in die Höhe verlängert wurde, liegt an den japanischen Investoren, denen man nicht den Triumph gönnen wollte, im Herzen des wichtigsten Finanzdistrikts Chinas so eine magische Marke zu knacken. Der Eingangsbereich für Besucher ist ganz nach dem modernen chinesischen Geschmack mit technischem Schnick-Schnack ausgestattet. Alles ist in Stahlgrau und Edelstahlglanz mit glänzend geschliffenen, dunklen Steinplatten gehalten. Es wimmelt von ausschließlich athletisch gebauten männlichen und ausschließlich bildhübschen weiblichen Wegweisern, die dauernd chinesisch und englisch vorgetragene höfliche Sätzen von sich gaben und sich dabei vor den Gästen laufend tief verbeugten, in Wirklichkeit aber ganz sicher auch noch in blitzschneller Terroristenabwehr ausgebildet waren. In ihren für jeden genau passend geschneiderten Anzügen bzw. Kostümen, sah die junge Mannschaft genauso aus, als würden ihnen jetzt nur noch Dietmar Schönherr und Eva Pflug fehlen, um, wie damals in den 60er-Jahren im Deutschen Fernsehen (als es nur ein Schwarz/weiß-Programm gab), dieses moderne Raumschiff Orion endlich abheben zu lassen. Die in geheimnisvollem Dunkel gehaltene Wartezonen-Schleusenbereiche waren und auf genau je eine Aufzugsladung ausgelegt und das stroboskopgestützte Unterhaltungs- und Ablenkungsprogramm war für unbedarfte Gemüter sicher etwas wie die Vorstufe zur bemannten Raumfahrt. Noch nie in meinem Leben bin ich zuvor mit Lichtgeschwindigkeit gefahren, aber nun war ich im Light Speed Elevator – and I survived it!

Oben angekommen hatte ich einen herrlichen Ausblick auf die Nebelsuppe, die den ganzen Tag nicht von der Stadt gewichen war. Entschädigt für den entgangenen Genuss ungetrübter Fernsicht wurde ich von der herzlichen Freude aller chinesischen Besucher die sich angesichts des bevorstehenden Mondfestes nicht einkriegen konnten vor Begeisterung darüber, in der welthöchstmöglichen Höhe gegenseitig fotografieren zu können. Hier waren sie dem für die Chinesen im Herbst so wichtigen Himmelskörper spürbar näher als in ihrem Alltag.

Natürlich konnte man doch durch den Glasfußboden, den viele nicht zu betreten wagten, bis ganz nach unten auf die Straße schauen und auch auf die benachbarten Wolkenkratzer. Der arme Jin Mao-Tower (金茂大厦 jīn mào dà shà Gold-prächtig-groß-Gebäude) war nunmehr, trotz seiner gewaltigen Ausmaße und seiner mit Abstand bedeutenderen architektonischen Schönheit im Vergleich zum SWFC auf den Platz des nur noch fünfthöchsten Gebäudes der Welt degradiert worden. Es mutete mir wie Hochmut an, auf solch ein Gebäude herabzublicken. Auf Pudong gibt es immer noch zentrale Baulücken, wohin noch höhere Gebäude gebaut werden könnten. Und ich bin sicher, dass das auch bald erfolgen wird.
Zum Abschluss haben wir unsere Betreuer zu einem Weißbier in die Paulaner-Brauerei-Gastwirtschaft direkt am Flussufer mit Blick auf die zahlreichen durch den Nebel fahrenden Schiffe eingeladen.

Erkenntnis des Tages: Ware Größe erkennt man nicht an statistisch ausdrückbaren Zahlenwerten
Als ich heute früh ausstand, waren die Wolkenkratzer verschwunden: starker Nebel verkürzte die Sichtweite so sehr, dass von Shanghai nur noch die Ausdehnung eines Dorfes in der Lüneburger Heide zu sehen war.
Nach der Vorlesung fragten mich einige meiner Studierenden, ob ich mit ihnen zusammen zum Essen in die Mensa gehen wollte. Mit ihnen zusammen gehen wollte ich gerne, in der Mensa essen wollte ich nicht, weil ich lieber die erfolgreiche Serie meines Kalorienverzichts nicht unterbrechen wollte. Das schien mir zu kompliziert, schnell zu erklären zu sein und so sagte ich einfach „ja“ und fand mich darauf, neben dem obligatorischen Reis, u.a. mit Kao Fu auf dem Tablett und mit ihnen am Tisch sitzend wieder (Zur Erinnerung: Kao Fu ist das braune, in Würfel geschnittene Ergebnis einer Soja-Fermentierung von der Konsistenz eines Badeschwamms). Meine Nachbarin sagte, das Gericht heiße „verlässlicher Ehemann“, und ich überlegte mir sogleich, welche medizinähnliche Wirkung die Chinesen dieser Speise wohl nachsagen mögen, von der eine Frau bei ihrem Mann sich besonders verlässlich eine Auswirkung erhofft, die etwas mit Ehe zu tun haben muss. Immerhin lagen gut 25 Kuben auf meinem Tablett und ich konnte noch nicht abschätzen, wie viele davon Wirkung zeigen würden. Denn die Chinesen schreiben jeder Speise irgendeinen Einfluss auf den menschlichen Körper zu. Grüner Tee wäscht z. B. den Magen-Darm-Trakt. Die richtige Lösung meiner intimen Frage ist einer Besonderheit der chinesischen Sprache zu verdanken, die gerne zu Wortscherzen benutzt wird. Kao Fu klingt nämlich wie Kao Fu, und in der einen Bedeutung ist es der Name der Speise und in der anderen heißt es eben „verlässlicher Ehemann“. Es gibt zwar vier Töne, mit denen eine Silbe, für chinesische Ohren hörbar unterscheidbar, ausgesprochen werden kann, trotzdem haben auch die gleich ausgesprochenen Silben immer mehrere Bedeutungen, und stets steht dahinter ein anderes Schriftzeichen. So weist das sehr ergiebige www.chinaboard.de für die Fu ausgesprochene Silbe 67 verschiedene Bedeutungen aus:
氟 Fluor, 副 sekundär, stellvertretend, Vize- 副 Zähleinheitswort für paarweise Objekte z.B. Handschuhe, Brille 复 [復] duplizieren, verdoppeln 复 [復] erneut, abermals 复 [復] wiederholen 复 [復] komplex [Math], 夫 Mann 夫 Fu [Fam] 敷 anlegen, anwenden 肤 [膚] Fell, Haut 孵 ausbrüten, brüten 鈇 Axt, Beil 麸 [麩] Kleie 砆 Achat 趺 Rist 跗 Rist 衭 Rockaufschlag 仏 Buddha 幅 wickeln, drehen 幅 Zähleinheitswort für Kunstwerke z.B. für Gemälde 福 Glück 福 Fu [Fam] 服 einnehmen [Med] 服 etw. auf sich nehmen, übernehmen 服 jmd. überzeugen 服 Kleidung 服 sich einleben/ eingewöhnen/ akklimatisieren 服 Fu [Fam] 浮 gleiten, verhalten laufen [Sport] 浮 Fu [Fam] 浮 treiben, dahintreiben 弗 nicht 弗 Fu [Fam] 孚 vertrauen, sich verlassen, trauen 符 übereinstimmen, zusammentreffen 符 entsprechen, übereinstimmen 符 versiegeln 符 Zeichen 符 Fu [Fam] 刜 drücken, treffen 刜 spalten, abschneiden 扶 helfen 扶 Fu [Fam] 伏 sich unterwerfen, abschicken 伏 verbergen, verhehlen 伏 Volt 伏 Fu [Fam] 葍 Glimmstängel, Glimmstengel [alt] 蚨 Geld 缚 [ 縛 ] verbinden, binden 怫 ängstlich, ängstlich, besorgt 芙 Lotos [Bio] 祓 reinigen 菔 Rübe, Steckrübe 桴 Strahl 艴 aufgebracht, ärgerlich, verärgert.
Als ein Student mir Kao Fu auf Chinesisch aufschreiben sollte, hat er dreimal neu angesetzt, jedesmal ein anderes Schriftzeichen schreibend, und erst nach Beratung mit den anderen hat er das richtige gefunden gehabt. Schade, Kao Fu bringt also doch nicht das, was sein (Scherz-)Name zu leisten verspricht.
In die höchste Höhe hinauf
Am Nachmittag war das Hamburg-Shanghai-College (SHC) wie ausgestorben, denn alle chinesischen Professoren waren zur Erstsemester-Begrüßungsfeier zum Jun Gong-Campus abgefahren und die Studenten nutzen den freien Freitagnachmittag, um etwas früher in das um den Mondfest-Feiertag am kommenden Montag verlängerte Wochenende zu entfliehen. Wir deutschen Professoren waren vom SHC als ganz normale Besucher zur Besichtigung des neueröffneten Shanghai World Financial Center (SWFC), des mit 492 m zweithöchsten Gebäudes der Welt, eingeladen worden. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, die beide auch Xü heißen, waren uns zur Begleitung über den Huangpu nach Pudong und zur Konversation beigestellt. Dass das Gebäude nicht noch um 8 m in die Höhe verlängert wurde, liegt an den japanischen Investoren, denen man nicht den Triumph gönnen wollte, im Herzen des wichtigsten Finanzdistrikts Chinas so eine magische Marke zu knacken. Der Eingangsbereich für Besucher ist ganz nach dem modernen chinesischen Geschmack mit technischem Schnick-Schnack ausgestattet. Alles ist in Stahlgrau und Edelstahlglanz mit glänzend geschliffenen, dunklen Steinplatten gehalten. Es wimmelt von ausschließlich athletisch gebauten männlichen und ausschließlich bildhübschen weiblichen Wegweisern, die dauernd chinesisch und englisch vorgetragene höfliche Sätzen von sich gaben und sich dabei vor den Gästen laufend tief verbeugten, in Wirklichkeit aber ganz sicher auch noch in blitzschneller Terroristenabwehr ausgebildet waren. In ihren für jeden genau passend geschneiderten Anzügen bzw. Kostümen, sah die junge Mannschaft genauso aus, als würden ihnen jetzt nur noch Dietmar Schönherr und Eva Pflug fehlen, um, wie damals in den 60er-Jahren im Deutschen Fernsehen (als es nur ein Schwarz/weiß-Programm gab), dieses moderne Raumschiff Orion endlich abheben zu lassen. Die in geheimnisvollem Dunkel gehaltene Wartezonen-Schleusenbereiche waren und auf genau je eine Aufzugsladung ausgelegt und das stroboskopgestützte Unterhaltungs- und Ablenkungsprogramm war für unbedarfte Gemüter sicher etwas wie die Vorstufe zur bemannten Raumfahrt. Noch nie in meinem Leben bin ich zuvor mit Lichtgeschwindigkeit gefahren, aber nun war ich im Light Speed Elevator – and I survived it!
Oben angekommen hatte ich einen herrlichen Ausblick auf die Nebelsuppe, die den ganzen Tag nicht von der Stadt gewichen war. Entschädigt für den entgangenen Genuss ungetrübter Fernsicht wurde ich von der herzlichen Freude aller chinesischen Besucher die sich angesichts des bevorstehenden Mondfestes nicht einkriegen konnten vor Begeisterung darüber, in der welthöchstmöglichen Höhe gegenseitig fotografieren zu können. Hier waren sie dem für die Chinesen im Herbst so wichtigen Himmelskörper spürbar näher als in ihrem Alltag.
Natürlich konnte man doch durch den Glasfußboden, den viele nicht zu betreten wagten, bis ganz nach unten auf die Straße schauen und auch auf die benachbarten Wolkenkratzer. Der arme Jin Mao-Tower (金茂大厦 jīn mào dà shà Gold-prächtig-groß-Gebäude) war nunmehr, trotz seiner gewaltigen Ausmaße und seiner mit Abstand bedeutenderen architektonischen Schönheit im Vergleich zum SWFC auf den Platz des nur noch fünfthöchsten Gebäudes der Welt degradiert worden. Es mutete mir wie Hochmut an, auf solch ein Gebäude herabzublicken. Auf Pudong gibt es immer noch zentrale Baulücken, wohin noch höhere Gebäude gebaut werden könnten. Und ich bin sicher, dass das auch bald erfolgen wird.
Zum Abschluss haben wir unsere Betreuer zu einem Weißbier in die Paulaner-Brauerei-Gastwirtschaft direkt am Flussufer mit Blick auf die zahlreichen durch den Nebel fahrenden Schiffe eingeladen.
Erkenntnis des Tages: Ware Größe erkennt man nicht an statistisch ausdrückbaren Zahlenwerten
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