Beobachtungen bei der Prüfung
Obwohl ich wegen meines gestrigen immensen Pu-er-Teegenusses koffeinspiegelbedingt in der Nacht kaum geschlafen hatte, stand ich sehr früh auf, um die letzten Vorbereitungen auf meine erste Klausur in China zu treffen und vor allem um sehr pünktlich zur Ersten Stunde am Montag im extra dafür angemieteten Saal (den ich am vorigen Freitag vorsorglich schon mal inspiziert hatte) im Gebäude des Sino-Britisch-Colleges zu erscheinen. Ich musste schon wieder bis in den sechsten Stock zu Fuß laufen, weil der Aufzug noch Monate außer Betrieb sein würde, wie ein Schild verriet. Zehn Minuten vor Prüfungsbeginn war die Hälfte der Studenten anwesend, um 8.00 Uhr alle bis auf zwei, die mit dreiminütiger Verspätung eintrafen. In Deutschland erscheinen regelmäßig fünf Prozent derjenigen, die sich zur Klausur angemeldet haben, nicht (das wird nicht als mit „nicht ausreichend“ bewerteter Klausurversuch gerechnet).

Wie in Hamburg ist auch in Shanghai bei einer Klausur selbstverständlich die Raumbelegungsdichte halb so groß wie bei einer normalen Vorlesung: die Abstände zwischen den Studierenden sind so weit, dass der Versuchung abzuschreiben kein Vorschub geleistet wird. In der Stresssituation der Klausur sind vermutlich bei den Studierenden der Energiegrundumsatz und die Adrenalinausschüttung wesentlich höher als normal, während es für mich als aufsichtführenden Professor eher langweilig ist und ich die Lage ganz gut beobachten kann. Es war wieder ein sehr heißer, schwüler und dunstiger Vormittag und zu allem Unglück war eine der beiden Klimaanlagen defekt und die andere lief nur bei verminderter Leistung. Nach etwa der Halbzeit der Klausur habe ich die Fenster aufgemacht, weil es inzwischen im Raum wärmer war als draußen. Mir lief der Schweiß unter dem Hemd an Brust und Rücken hinunter. Die Studenten stöhnten. Trotzdem war keinerlei Schweißgeruch zu riechen, während in Hamburg ein säuerlicher Gestank stets Begleiter einer Prüfungssituation ist. Die Prüfung sei schwer gewesen, sagten vorsorglich dramatisierend einige Studenten gleich nach Abgabe der Blätter. Aber viele haben alle Aufgaben bearbeitet, dass heißt, die Zeit war ausreichend; jede Aufgabe ist von irgendjemandem richtig gelöst worden, dass heißt, die Klausur war nicht zu schwer; keiner hat alle Aufgaben richtig gelöst, dass heißt die Klausur war nicht zu leicht. Eine endgültige Bewertung werde ich aber erst zusammen mit der zweiten Klausur nach Ende der gesamten Stoffvermittlung abgeben.
Die Anprobe
Nach einem kleinen Gemüse-Mittagshappen radelte ich zu meinem Schneider zur Anprobe. Die Hemden saßen tadellos, beim Anzug wollte ich noch mehr Spielweite haben, was ich energisch mit Zeichen signalisierte und der Schneider ordentlich mit Stecknadeln absteckte. Eine Sprachverständigung auf Englisch ist bis auf einige wenige Brocken nicht möglich. Unter anderem auch darin unterscheidet sich dieses klitzekleine Ladengeschäft von dem Herrenschneider im Foyer des Marriott-Hotels im Tomorrow-Tower, wo jedoch vierfache Preise verlangt werden. Das Englisch meines Schneiders reichte aus, um, auf meinen Bauch zeigend, freundlich lächelnd „Baby“ zu sagen, was frei übersetzt in etwas heißt: „Nun, stell dich nicht so an und kritisiere nicht meine Schneiderhandwerkskunst. Nimm lieber endlich ab, du europäische Langnase mit Schweißgeruch!“ Am Donnerstag soll alles fertig sein, und ich habe bei Gefallen mit Nachorder gelockt.
Schnell noch `ne SMS schreiben
Vier mehrere tausende Jahre zurückliegende Schlüsselerfindungen haben die chinesische Kultur sehr früh enorm voran gebracht: Kompass, Schwarzpulver, Papier und Typographie (Dazu kamen später noch die Seide und das Porzellan). Bis zum Sturm der Mongolen war China technologisch und wissenschaftlich führend. Chinesen und Mongolen verdanken wir Entwicklung bzw. Transfer eben genannter Erfindungen nach Europa. Mit Beginn der Ming-Dynastie (1368 – 1644) schwand allmählich der schöpferische Erfindergeist, bis das Land schließlich in hoffnungslose Rückständigkeit verfiel. Erst mit dem Eindringen der imperialistischen Europäer begann die Modernisierungsbewegung, die zu einer Aufholjagt geführt hat, die lange noch nicht abgeschlossen ist. Als die Computer Einzug hielten, meinten einige, dass sei das Ende der Kommunikation mit chinesischen Schriftzeichen, aber er gibt eine Lösung.

Das möchte ich anhand des Schreibens einer SMS auf dem Handy verdeutlichen: Ein chinesisches Handy, zum Beispiel von Nokia oder Ericson, verfügt über das gleiche Tastenfeld, wie unser Handy, jedoch sind auf den Nummerntasten nicht nur zusätzlich drei oder vier Buchstaben des lateinischen Alphabets aufgedruckt, sondern einige Tasten habe weitere unterschiedliche Striche.

Am einfachsten ist es, wenn man Pinyin kann, dass ist die lateinische Umschrift der gesprochenen hochchinesischen Wörter (es gibt also auf dem Handy unter Einstellungen eine Sprachwahl, ähnlich wie bei uns English, Français, Deutsch, Türkçe: nämlich Mandarin, Kantonesisch, Taiwanesisch, Koreanisch, Japanisch und was der Hersteller für die Erschließung verschiedener Märkte noch erforderlich hält, sowie die jeweils dazugehörige lateinische Umschrift). Ein bis drei Tastenanschläge braucht man, um die Silbe des gesuchten Wortes eindeutig einzugeben. Bei jedem Tastenanschlag zeigt das Handy nebeneinander auf dem Display die passenden Wörter in der Reihenfolge der Häufigkeit ihres Vorkommens in der Alltagskommunikation an. Das gewünschte wählt man dann aus. Ganz genauso funktioniert übrigens das sogenannte Wörterbuch bei unserem Handy, mit dem man die SMS-Schreibezeiten erheblich verkürzen kann, wenn man sich erst mal mit dem Verfahren vertraut gemacht hat.
Etwas umständlicher geht es auch mit der Schriftzeichenerzeugung mit den Strichen, was aber angeblich nur die Alten (vor 1949 geboren) benutzen, die in der Schule noch nicht Hochchinesisch und Pinyin gelernt haben. Ich vermute mal, dass die so viele SMSs schreiben wie bei uns die alten Leute auch. Man kann nämlich lange, kurze, linkssteigende, rechtsfallende Striche usw. eingeben, wie es der Reihenfolge beim Schreiben eines chinesischen Schriftzeichens ordnungsgemäß entspricht. Daraus erkennt das Handy, aber erst nach viel mehr Tastenanschlägen auch immer besser, was gemeint ist und bietet seine Favoriten zur Übernahme in die SMS an. Im der U-Bahn habe ich jemanden beim Schreiben auf einer Touch-Sensitive-Screen beobachtet, wie er (einfache) Zeichen mit dem Daumennagel hingekrickelt hat und das Handy in der Lage war, das zu lesen.
Obwohl ich wegen meines gestrigen immensen Pu-er-Teegenusses koffeinspiegelbedingt in der Nacht kaum geschlafen hatte, stand ich sehr früh auf, um die letzten Vorbereitungen auf meine erste Klausur in China zu treffen und vor allem um sehr pünktlich zur Ersten Stunde am Montag im extra dafür angemieteten Saal (den ich am vorigen Freitag vorsorglich schon mal inspiziert hatte) im Gebäude des Sino-Britisch-Colleges zu erscheinen. Ich musste schon wieder bis in den sechsten Stock zu Fuß laufen, weil der Aufzug noch Monate außer Betrieb sein würde, wie ein Schild verriet. Zehn Minuten vor Prüfungsbeginn war die Hälfte der Studenten anwesend, um 8.00 Uhr alle bis auf zwei, die mit dreiminütiger Verspätung eintrafen. In Deutschland erscheinen regelmäßig fünf Prozent derjenigen, die sich zur Klausur angemeldet haben, nicht (das wird nicht als mit „nicht ausreichend“ bewerteter Klausurversuch gerechnet).
Wie in Hamburg ist auch in Shanghai bei einer Klausur selbstverständlich die Raumbelegungsdichte halb so groß wie bei einer normalen Vorlesung: die Abstände zwischen den Studierenden sind so weit, dass der Versuchung abzuschreiben kein Vorschub geleistet wird. In der Stresssituation der Klausur sind vermutlich bei den Studierenden der Energiegrundumsatz und die Adrenalinausschüttung wesentlich höher als normal, während es für mich als aufsichtführenden Professor eher langweilig ist und ich die Lage ganz gut beobachten kann. Es war wieder ein sehr heißer, schwüler und dunstiger Vormittag und zu allem Unglück war eine der beiden Klimaanlagen defekt und die andere lief nur bei verminderter Leistung. Nach etwa der Halbzeit der Klausur habe ich die Fenster aufgemacht, weil es inzwischen im Raum wärmer war als draußen. Mir lief der Schweiß unter dem Hemd an Brust und Rücken hinunter. Die Studenten stöhnten. Trotzdem war keinerlei Schweißgeruch zu riechen, während in Hamburg ein säuerlicher Gestank stets Begleiter einer Prüfungssituation ist. Die Prüfung sei schwer gewesen, sagten vorsorglich dramatisierend einige Studenten gleich nach Abgabe der Blätter. Aber viele haben alle Aufgaben bearbeitet, dass heißt, die Zeit war ausreichend; jede Aufgabe ist von irgendjemandem richtig gelöst worden, dass heißt, die Klausur war nicht zu schwer; keiner hat alle Aufgaben richtig gelöst, dass heißt die Klausur war nicht zu leicht. Eine endgültige Bewertung werde ich aber erst zusammen mit der zweiten Klausur nach Ende der gesamten Stoffvermittlung abgeben.
Die Anprobe
Nach einem kleinen Gemüse-Mittagshappen radelte ich zu meinem Schneider zur Anprobe. Die Hemden saßen tadellos, beim Anzug wollte ich noch mehr Spielweite haben, was ich energisch mit Zeichen signalisierte und der Schneider ordentlich mit Stecknadeln absteckte. Eine Sprachverständigung auf Englisch ist bis auf einige wenige Brocken nicht möglich. Unter anderem auch darin unterscheidet sich dieses klitzekleine Ladengeschäft von dem Herrenschneider im Foyer des Marriott-Hotels im Tomorrow-Tower, wo jedoch vierfache Preise verlangt werden. Das Englisch meines Schneiders reichte aus, um, auf meinen Bauch zeigend, freundlich lächelnd „Baby“ zu sagen, was frei übersetzt in etwas heißt: „Nun, stell dich nicht so an und kritisiere nicht meine Schneiderhandwerkskunst. Nimm lieber endlich ab, du europäische Langnase mit Schweißgeruch!“ Am Donnerstag soll alles fertig sein, und ich habe bei Gefallen mit Nachorder gelockt.
Schnell noch `ne SMS schreiben
Vier mehrere tausende Jahre zurückliegende Schlüsselerfindungen haben die chinesische Kultur sehr früh enorm voran gebracht: Kompass, Schwarzpulver, Papier und Typographie (Dazu kamen später noch die Seide und das Porzellan). Bis zum Sturm der Mongolen war China technologisch und wissenschaftlich führend. Chinesen und Mongolen verdanken wir Entwicklung bzw. Transfer eben genannter Erfindungen nach Europa. Mit Beginn der Ming-Dynastie (1368 – 1644) schwand allmählich der schöpferische Erfindergeist, bis das Land schließlich in hoffnungslose Rückständigkeit verfiel. Erst mit dem Eindringen der imperialistischen Europäer begann die Modernisierungsbewegung, die zu einer Aufholjagt geführt hat, die lange noch nicht abgeschlossen ist. Als die Computer Einzug hielten, meinten einige, dass sei das Ende der Kommunikation mit chinesischen Schriftzeichen, aber er gibt eine Lösung.
Das möchte ich anhand des Schreibens einer SMS auf dem Handy verdeutlichen: Ein chinesisches Handy, zum Beispiel von Nokia oder Ericson, verfügt über das gleiche Tastenfeld, wie unser Handy, jedoch sind auf den Nummerntasten nicht nur zusätzlich drei oder vier Buchstaben des lateinischen Alphabets aufgedruckt, sondern einige Tasten habe weitere unterschiedliche Striche.
Am einfachsten ist es, wenn man Pinyin kann, dass ist die lateinische Umschrift der gesprochenen hochchinesischen Wörter (es gibt also auf dem Handy unter Einstellungen eine Sprachwahl, ähnlich wie bei uns English, Français, Deutsch, Türkçe: nämlich Mandarin, Kantonesisch, Taiwanesisch, Koreanisch, Japanisch und was der Hersteller für die Erschließung verschiedener Märkte noch erforderlich hält, sowie die jeweils dazugehörige lateinische Umschrift). Ein bis drei Tastenanschläge braucht man, um die Silbe des gesuchten Wortes eindeutig einzugeben. Bei jedem Tastenanschlag zeigt das Handy nebeneinander auf dem Display die passenden Wörter in der Reihenfolge der Häufigkeit ihres Vorkommens in der Alltagskommunikation an. Das gewünschte wählt man dann aus. Ganz genauso funktioniert übrigens das sogenannte Wörterbuch bei unserem Handy, mit dem man die SMS-Schreibezeiten erheblich verkürzen kann, wenn man sich erst mal mit dem Verfahren vertraut gemacht hat.
Etwas umständlicher geht es auch mit der Schriftzeichenerzeugung mit den Strichen, was aber angeblich nur die Alten (vor 1949 geboren) benutzen, die in der Schule noch nicht Hochchinesisch und Pinyin gelernt haben. Ich vermute mal, dass die so viele SMSs schreiben wie bei uns die alten Leute auch. Man kann nämlich lange, kurze, linkssteigende, rechtsfallende Striche usw. eingeben, wie es der Reihenfolge beim Schreiben eines chinesischen Schriftzeichens ordnungsgemäß entspricht. Daraus erkennt das Handy, aber erst nach viel mehr Tastenanschlägen auch immer besser, was gemeint ist und bietet seine Favoriten zur Übernahme in die SMS an. Im der U-Bahn habe ich jemanden beim Schreiben auf einer Touch-Sensitive-Screen beobachtet, wie er (einfache) Zeichen mit dem Daumennagel hingekrickelt hat und das Handy in der Lage war, das zu lesen.
(Das hier wegen Upload-Problemen fehlende Video wird nachgeliefert)
Renao im Hotelflur
In den letzten Tagen ist eine Gruppe Chinesischer Ehepaare mittleren Alters in die Zimmer auf meinem 11. Stock im Er Yi Hotel, das ist das Gästehotel der 2. Medizinischen Hochschule Shanghais auf deren Campus-Gelände, eingezogen. Gemäß Emils gestriger Erklärung der Sprechlautstärke verschiedener chinesischer Bevölkerungsschichten, müssen das ganz besonders primitive Zeitgenossen auf dem Niveau knapp unterhalb des Homo Sapiens sein. So wie sie es sonst vermutlich, vor ihren Höhlen am Lagerfeuer sitzend, gewohnt sind, öffnen sie auch hier die Zugänge zu ihren Schlafkavernen und rotten sich auf dem Hotelflur zusammen, um wahrscheinlich über die Strategie zu palavern, wie sie ihr nächstes Mammut am geschicktesten erlegen können. Warum sie aber dafür so distinguiert gekleidet sind, wo doch alle anderen Shanghaier wegen der Hitze ziemlich lässig-luftig angezogen sind, kann ich mir noch nicht erklären.
Der chinesische Ausdruck für Trubel lautet 热闹 (rènao heiß-lärmend), bedeutet ausgelassene Stimmung machen und drückt das Lieblingslebensgefühl der Chinesen treffend aus. Über meine Hotelnachbarn würde sich hier niemand aufregen, das ist zentraler Bestandteil des normalen Lebens, an dem man doch gerne teilhat, oder?
Erkenntnis des Tages: Es gibt für jede Lebensäußerung eine Möglichkeit sich anzupassen
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