Von den Freuden des BLOG-Schreibens
Der heutige Sonntag begann mit heftigem Regen, und so beschloss ich, den Tag für mich ganz alleine im Hotel zu verbringen. Zu Hause in Hamburg habe ich manchmal solche Tage für mich alleine, dass heißt, ich nehme sie mir dort heraus, während ich hier oft das diffuse Gefühl habe, die Gelegenheiten nutzen zu müssen und keinen Tag vergeudet verstreichen lassen zu dürfen. Aber zu dem schlechten Wetter kamen noch die Nachwirkungen der Anstrengungen von gestern und auch erste Anflüge von Normalität in meine Situation als befristet in die Fremde verpflanzter ganz normaler Mensch. Konzentriert im Bett liegend habe ich mir eine Predigt angehört; das war gut und die Predigt war gut, aber ich würde hier in Shanghai doch gerne Christen kennenlernen, mit denen ich mich auf deutsch oder englisch unterhalten kann. Noch besser wäre natürlich, ich könnte mich mit ihnen geistlich unterhalten und das Optimum wäre ein geistlich übereinstimmendes Beten, Austauschen über die Bibel, verbunden mit persönlicher Gemeinschaft. Aber in der Diaspora bin ich zunächst mal mit dem Einfachsten zufrieden.
Weiterhin habe ich mir Zeit genommen, meinen Internettagebucheintrag (mein Blog) von gestern nachzutragen. Ich habe mir vorgenommen, täglich daran weiter zu schreiben, und das zunächst mal für mich ganz persönlich und in zweiter Linie erst auch für andere. Aber weil ich vollmundig bei vielen, mir wichtigen Menschen mein Blog angekündigt hatte, hilft mir die bei diesen Lesern von mir vermutete Erwartung, die ich meine geweckt zu haben, mein Vorhaben besser umzusetzen. Denn auch beim Blogschreiben ist das Fleisch schwächer als der Geist willig ist. Richtig ermutigend waren einzelne kleine Rückmeldungen, die ich inzwischen erhalten habe. Danke!
Dabei geht viel Zeit für das schreiben und das recherchieren drauf, sodass ich keinerlei Langeweile habe, sondern im Gegenteil; vieles, was gerne für mich alleine machen würde, vor allem lesen, bleibt einfach auf der Strecke oder findet, nach meinem Empfinden, zu wenig statt. Langsamer, als ich sonst lese, und das mache ich immer täglich viel, komme ich in einem von mir geschätzten Fischertaschenbuch mit dem Titel „Der China-Knigge – Eine Gebrauchsanweisung für das Reich der Mitte“ von Yu-Chien Kuan und Petra Häring-Kuan voran, dass mir viel Aufklärung über „die“ Chinesen bringt und was ich bei meinen chinesischen Kontaktpartnern hinterfrage und verifiziere. Oder der Kauderwelsch Band 158 „Chinesisch kulinarisch Wort für Wort“, mit dem man zwar nicht in der Lage ist, auf die Schnelle eine rein chinesisch geschriebene Speisekarte so zu entziffern, so dass man zu einer ordentlichen Bestellung fähig wäre, aber der sehr gute Einblicke bietet, wie die Chinesen kulinarisch denken und sprechen und welche Tischsitten sie als höflich und welche normalen westlichen Verhaltensweisen sie als kulturlos empfinden. Aus diesem Heft habe ich den Satz entnommen „ni chi guo le ma?“ (du-essen-(VP)-(EP)-(FP) Hast du schon gegessen? Was aber im Sinne von „Wie geht’s?“ benutzt wird. Im Sekretariat des Joint-College habe ich die Leute mit meinen angelesenen Kenntnissen einmal so begrüßt, worauf sie mir erklärten, das sei keine moderne Umgangssprache. „Wie geht’s?“ heißt einfach und nur „ni hao ma?“ (du-gut-(FP)?). Vielleicht habe ich in einem Stil gefragt, der im Deutschen so klingen könnte: „Darf ich mich nach Eurem allerwerten Wohlbefinden erkundigen?“ Das ist zwar korrektes Deutsch, aber so spricht heutzutage niemand mehr. Am nächsten Tag haben jedoch ganz andere Leute, die nicht bei meinem Spracherprobungsversuch dabei waren, mich mit „ni chi guo le ma?“ begrüßt und mir dann erklärt, wie man noch ganz andere Sprachfeinheiten im Chinesischen einsetzen könne. Offensichtlich haben sie den Eindruck von mir gewonnen, es mit einem literarisch bewanderten, gebildeten Menschen zu tun zu haben. Und das zählt im China der neu wichtig genommenen Traditionen sehr viel.
Ein merk-würdiges Interview
Auf einer Internetseite habe ich folgendes, als sensationell bezeichnetes Interview des Premierministers Wen Jiabao in deutscher Übersetzung gelesen, wie es von einem Mithörenden wiedergegeben wurde, und welches Wen Jiabao ein paar Tage vor seiner Europa-Reise 2006 u.a. der Deutschen Presseagentur und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gewährte. Hier gebe ich die wichtigsten Antworten des Premiers auf die Fragen nach der dramatischen Weltlage, dem Krieg gegen den Terror, dem Aufstieg Chinas etc., die laut dem Mithörenden von der dpa und der FAZ angeblich wohlweislich verschwiegen wurden, wieder (für chinesischkundige ist das Originalinterview angeblich hier nachzulesen, was ich leider nicht überprüfen kann: http://news.xinhuanet.com/world/2006-09/06/content_5055283.htm;
Quelle: Ostasieninstitut der Fachhochschule Ludwigshafen, Dr. Jörg-M. Rudolph, Rudolph@OAI.de):
dpa: Herr Premierminister, wie kam es eigentlich, dass gerade wir Sie heute interviewen dürfen?
Wen Jiabao: Noch nie hab‘ ich die Blätter auf dem Blumenpfad wegen eines Gastes Kommen gefegt, heute aber öffne ich dem Edlen meines armen Hauses Tür.
(Das ist vom berühmten Dichter der Tang-Zeit, Du Fu, 712 bis 770).
FAZ: Wie sehen Sie, so nahe am 11. September, die Weltlage, Herr Premier?
Wen Jiabao: Mein ist nicht mal ein halber Mu Land [ca. 30 qm], aber mein Herz ist besorgt um den Zustand der Welt; unzähl‘ge Bücher hab‘ ich gelesen, so oft, bis sie auseinanderfielen, und dabei mit den Geistern der Alten [Klassiker] verkehrt.
(Das ist von Zuo Zongtang, 1812 bis 1885, der dies im Alter von 23 Jahren seiner darüber tief verwirrten Frau mitteilte, die er gerade geheiratet hatte.)
dpa: Es heißt in letzter Zeit, China sei eine rechte Klassengesellschaft geworden, Herr Ministerpräsident. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer, das Land brauche eine Kommunistische Partei. Was sagen Sie solchen Kritikern?
Wen Jiabao: Erde und Himmel weih’ ich mein Herz, dem Leben des Volkes widme ich mein Schicksal, die unterbroch’nen Lehren der mausetoten alten Heil’gen möchte’ ich fortsetzen, zehntausend Generationen, die wohl noch kommen, will ich Frieden schaffen.
(Das ist von Zhang Zai, 1020 bis 1077, Song-Zeit.)
FAZ: Welche neue Politik verfolgen Sie in bezug auf die Bauernarbeiter, die wir in Deutschland immer Wanderarbeiter nennen, weil uns das an ein altes deutsches Volkslied erinnert?
Wen Jiabao: Tiefe Seufzer, die meine Tränen zurückhalten sollen, wegen meiner Sorgen um des Volkslebens Härten.
(Das sagte der Dichter Qu Yuan, 340 bis 277 v. Chr., als er, wie Wen Jiabao, ein Minister im damaligen Fürstentum Chu war.)
dpa: Sind die Chinesen heute eigentlich zufriedener als in der Kulturrevolution?
Wen Jiabao: Hier lieg’ ich nun in meines Amtes Stübchen und höre das Rascheln des Bambus’ draußen; es sind aber wohl doch eher die klagenden Stimmen des Volkes.
(Das ist vom nonsense-Dichter Zheng Banqiao, 1693 bis 1765, von dem wir bislang sein Über die Schwierigkeit des Dumm-Seins schätzten.)
FAZ: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ministerpräsident. Möchten Sie unseren deutschen Lesern noch etwas ganz persönliches mitteilen?
Wen Jiabao: Es gibt da zwei Dinge, die, je tiefgehender und länger ich sie überdenke, täglich mehr Staunen und Ehrfurcht in meiner Seele hervorrufen; sie sind das Sternenlicht über und die Moral in mir.
(Das ist von Kant, 1724 bis 1804, dem Philosophen der Aufklärung im deutschen Sprachraum! Da der Premier das gleiche Zitat schon einmal im Gespräch mit deutschen Journalisten benutzte, das war im April 2004, muss man davon ausgehen, dass ihm viel an dieser Erkenntnis liegt.)
Wen Jiabao: Warum nur steh’n mir so oft die Tränen in den Augen? Nun, weil ich diesen Boden [vermutlich: China] so sehr liebe.
(Das ist von Ai Qing, 1910 bis 1996)
Ich glaube zwar nicht, dass das Interview ausschließlich aus Dichter-Zitaten bestand, aber in Deutschland würde ein Politiker, der in einem Interview so viel fremdes Gedankengut feilbietet, als geistlos völlig durchfallen. Im heutigen China ist das (wieder) anders. Im kaiserlichen China war Erziehung der Eigeninitiative der Eltern überlassen. Nach der Vermittlung von Lese- und Schreibfertigkeiten wandten sich die Jungen dem Studium konfuzianischer Texte zu (Mädchen wurden, wenn überhaupt, nur zuhause unterrichtet) mit dem Ziel, an den mehrstufigen staatlichen Beamtenprüfungen teilzunehmen, deren erfolgreiches Bestehen den Aufstieg in höchste Positionen der Beamtenhierarchie, verbunden mit Macht, Wohlstand und Ansehen versprach. Das langjährige Studium der konfuzianischen Schriften brachte vorzügliche Literaten hervor, die sich geschliffen ausdrücken konnten und es verstanden, zu jedem literarischen Thema einen Aufsatz oder ein Gedicht zu schreiben, wohingegen keinerlei technische oder naturwissenschaftliche Sachkenntnis vorhanden war. Von der Pflege einzig der hoch entwickelten moralischen Werte war man solange überzeugt, bis die waffentechnisch überlegenen europäischen Mächte in China eindrangen und es in ihre Einflusszonen einteilten. Da erst wurde hastig versucht die Defizite aufzuholen. 1905 erfolgte die Abschaffung des staatlichen Prüfungssystems und das war das endgültige Aus für die traditionelle Bildung. Auch die Ausländer, vor allem die Amerikaner, betätigten sich auf dem Bildungssektor. In diese Zeit fällt die Gründung der USST (ehemals als amerikanische, kirchliche Hochschule) und der Deutschen Medizintechnischen Schule auf dem heutigen Fuxing-Campus. Unter den Kommunisten wurde die Bildung ab 1949 voll verstaatlicht. Viele Chinesen, die Mao das erste Mal reden hörten, waren enttäuscht über seine Grobschlächtigkeit, da war nichts von der feinen Sprache der Herrschenden der Kaiserzeit. Seit den 1990er-Jahren gibt es wieder private Bildungseinrichtungen und heute gehört auch literarische Bildung, neben einem grundsätzlich hohen Bildungsniveau, wieder zum Erstrebten.
Mein Niveau: Erstklässler
Ich für meinen Teil habe mir für dieses Streben in der Buchhandlung für je 2 Yuan drei Schreibübungshefte für Erstklässler gekauft, die, wenn ich sie durchgearbeitet und mir gemerkt haben werde (oder würde), mir zu einem Wortschatz von 300 Wörter verhelfen werden. Dabei finde ich es leichter, mir die Schriftzeichen zu merken, als die Aussprache, die ich ohnehin beim Schreibenüben nicht höre. Folgendes ist mir aufgefallen:
erstens Wasser (im Sinne der geographischen Beschreibung) kann ich am linksstehenden Wasser-Radikal, bestehend aus zwei kurzen und einem langen Strich erkennen, zum Beispiel in:
江 jiāng grosser Fluss, Strom
河 hé Fluss
湖 hú (der) See
海 hǎi Meer, (die) See
und davon abgeleitet, als abstrakter Begriff:
洋 yáng großartig; unermesslich
oder unter dem Radikal für Regen die Ableitungen des Niederschlags:
雨 yǔ Regen
雪 xuě Schnee
雷 léi Donner
霜 shuāng Frost
雹 báo Hagel
und als drittes Beispiel, die Änderung des Aggregatzustands von Wasser, was im linken Radikal sichtbar ist:
水 shuǐ Wasser
冰 bīng Eis.
Die Schriftzeichen sind also sinnerklärend aufgebaut, was eine sehr gute mnemotechnische Hilfe ist. Trotzdem muss man die Aussprache (und zugleich die Bedeutung) jedes Schriftzeichens kennen, denn das Schriftzeichen selber gibt keinerlei Hinweis auf seine Phonetik (die in den verschiedenen Sprachen untereinander zudem noch unverstehbar unterschiedlich ist). 10.000e verschiedene Schriftzeichen gibt es, wobei im chinesischen das Wort 10.000 (万 wàn) selber im übertragenen Sinn auch „unzählbar viel“ bedeutet. Trotzdem kann man im chinesischen schneller SMSs schreiben als im Deutschen, weil man weniger Tastenanschläge braucht, um ein Wort fertig zu stellen. Kürzere SMS heißt auch weniger Kosten. Das Prinzip ist sehr einfach, und ich werde es morgen erklären.
Erkenntnis des Tages: Manchmal kommt man mit lesen weiter herum als mit reisen.
Der heutige Sonntag begann mit heftigem Regen, und so beschloss ich, den Tag für mich ganz alleine im Hotel zu verbringen. Zu Hause in Hamburg habe ich manchmal solche Tage für mich alleine, dass heißt, ich nehme sie mir dort heraus, während ich hier oft das diffuse Gefühl habe, die Gelegenheiten nutzen zu müssen und keinen Tag vergeudet verstreichen lassen zu dürfen. Aber zu dem schlechten Wetter kamen noch die Nachwirkungen der Anstrengungen von gestern und auch erste Anflüge von Normalität in meine Situation als befristet in die Fremde verpflanzter ganz normaler Mensch. Konzentriert im Bett liegend habe ich mir eine Predigt angehört; das war gut und die Predigt war gut, aber ich würde hier in Shanghai doch gerne Christen kennenlernen, mit denen ich mich auf deutsch oder englisch unterhalten kann. Noch besser wäre natürlich, ich könnte mich mit ihnen geistlich unterhalten und das Optimum wäre ein geistlich übereinstimmendes Beten, Austauschen über die Bibel, verbunden mit persönlicher Gemeinschaft. Aber in der Diaspora bin ich zunächst mal mit dem Einfachsten zufrieden.
Weiterhin habe ich mir Zeit genommen, meinen Internettagebucheintrag (mein Blog) von gestern nachzutragen. Ich habe mir vorgenommen, täglich daran weiter zu schreiben, und das zunächst mal für mich ganz persönlich und in zweiter Linie erst auch für andere. Aber weil ich vollmundig bei vielen, mir wichtigen Menschen mein Blog angekündigt hatte, hilft mir die bei diesen Lesern von mir vermutete Erwartung, die ich meine geweckt zu haben, mein Vorhaben besser umzusetzen. Denn auch beim Blogschreiben ist das Fleisch schwächer als der Geist willig ist. Richtig ermutigend waren einzelne kleine Rückmeldungen, die ich inzwischen erhalten habe. Danke!
Dabei geht viel Zeit für das schreiben und das recherchieren drauf, sodass ich keinerlei Langeweile habe, sondern im Gegenteil; vieles, was gerne für mich alleine machen würde, vor allem lesen, bleibt einfach auf der Strecke oder findet, nach meinem Empfinden, zu wenig statt. Langsamer, als ich sonst lese, und das mache ich immer täglich viel, komme ich in einem von mir geschätzten Fischertaschenbuch mit dem Titel „Der China-Knigge – Eine Gebrauchsanweisung für das Reich der Mitte“ von Yu-Chien Kuan und Petra Häring-Kuan voran, dass mir viel Aufklärung über „die“ Chinesen bringt und was ich bei meinen chinesischen Kontaktpartnern hinterfrage und verifiziere. Oder der Kauderwelsch Band 158 „Chinesisch kulinarisch Wort für Wort“, mit dem man zwar nicht in der Lage ist, auf die Schnelle eine rein chinesisch geschriebene Speisekarte so zu entziffern, so dass man zu einer ordentlichen Bestellung fähig wäre, aber der sehr gute Einblicke bietet, wie die Chinesen kulinarisch denken und sprechen und welche Tischsitten sie als höflich und welche normalen westlichen Verhaltensweisen sie als kulturlos empfinden. Aus diesem Heft habe ich den Satz entnommen „ni chi guo le ma?“ (du-essen-(VP)-(EP)-(FP) Hast du schon gegessen? Was aber im Sinne von „Wie geht’s?“ benutzt wird. Im Sekretariat des Joint-College habe ich die Leute mit meinen angelesenen Kenntnissen einmal so begrüßt, worauf sie mir erklärten, das sei keine moderne Umgangssprache. „Wie geht’s?“ heißt einfach und nur „ni hao ma?“ (du-gut-(FP)?). Vielleicht habe ich in einem Stil gefragt, der im Deutschen so klingen könnte: „Darf ich mich nach Eurem allerwerten Wohlbefinden erkundigen?“ Das ist zwar korrektes Deutsch, aber so spricht heutzutage niemand mehr. Am nächsten Tag haben jedoch ganz andere Leute, die nicht bei meinem Spracherprobungsversuch dabei waren, mich mit „ni chi guo le ma?“ begrüßt und mir dann erklärt, wie man noch ganz andere Sprachfeinheiten im Chinesischen einsetzen könne. Offensichtlich haben sie den Eindruck von mir gewonnen, es mit einem literarisch bewanderten, gebildeten Menschen zu tun zu haben. Und das zählt im China der neu wichtig genommenen Traditionen sehr viel.
Ein merk-würdiges Interview
Auf einer Internetseite habe ich folgendes, als sensationell bezeichnetes Interview des Premierministers Wen Jiabao in deutscher Übersetzung gelesen, wie es von einem Mithörenden wiedergegeben wurde, und welches Wen Jiabao ein paar Tage vor seiner Europa-Reise 2006 u.a. der Deutschen Presseagentur und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gewährte. Hier gebe ich die wichtigsten Antworten des Premiers auf die Fragen nach der dramatischen Weltlage, dem Krieg gegen den Terror, dem Aufstieg Chinas etc., die laut dem Mithörenden von der dpa und der FAZ angeblich wohlweislich verschwiegen wurden, wieder (für chinesischkundige ist das Originalinterview angeblich hier nachzulesen, was ich leider nicht überprüfen kann: http://news.xinhuanet.com/world/2006-09/06/content_5055283.htm;
Quelle: Ostasieninstitut der Fachhochschule Ludwigshafen, Dr. Jörg-M. Rudolph, Rudolph@OAI.de):
dpa: Herr Premierminister, wie kam es eigentlich, dass gerade wir Sie heute interviewen dürfen?
Wen Jiabao: Noch nie hab‘ ich die Blätter auf dem Blumenpfad wegen eines Gastes Kommen gefegt, heute aber öffne ich dem Edlen meines armen Hauses Tür.
(Das ist vom berühmten Dichter der Tang-Zeit, Du Fu, 712 bis 770).
FAZ: Wie sehen Sie, so nahe am 11. September, die Weltlage, Herr Premier?
Wen Jiabao: Mein ist nicht mal ein halber Mu Land [ca. 30 qm], aber mein Herz ist besorgt um den Zustand der Welt; unzähl‘ge Bücher hab‘ ich gelesen, so oft, bis sie auseinanderfielen, und dabei mit den Geistern der Alten [Klassiker] verkehrt.
(Das ist von Zuo Zongtang, 1812 bis 1885, der dies im Alter von 23 Jahren seiner darüber tief verwirrten Frau mitteilte, die er gerade geheiratet hatte.)
dpa: Es heißt in letzter Zeit, China sei eine rechte Klassengesellschaft geworden, Herr Ministerpräsident. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer, das Land brauche eine Kommunistische Partei. Was sagen Sie solchen Kritikern?
Wen Jiabao: Erde und Himmel weih’ ich mein Herz, dem Leben des Volkes widme ich mein Schicksal, die unterbroch’nen Lehren der mausetoten alten Heil’gen möchte’ ich fortsetzen, zehntausend Generationen, die wohl noch kommen, will ich Frieden schaffen.
(Das ist von Zhang Zai, 1020 bis 1077, Song-Zeit.)
FAZ: Welche neue Politik verfolgen Sie in bezug auf die Bauernarbeiter, die wir in Deutschland immer Wanderarbeiter nennen, weil uns das an ein altes deutsches Volkslied erinnert?
Wen Jiabao: Tiefe Seufzer, die meine Tränen zurückhalten sollen, wegen meiner Sorgen um des Volkslebens Härten.
(Das sagte der Dichter Qu Yuan, 340 bis 277 v. Chr., als er, wie Wen Jiabao, ein Minister im damaligen Fürstentum Chu war.)
dpa: Sind die Chinesen heute eigentlich zufriedener als in der Kulturrevolution?
Wen Jiabao: Hier lieg’ ich nun in meines Amtes Stübchen und höre das Rascheln des Bambus’ draußen; es sind aber wohl doch eher die klagenden Stimmen des Volkes.
(Das ist vom nonsense-Dichter Zheng Banqiao, 1693 bis 1765, von dem wir bislang sein Über die Schwierigkeit des Dumm-Seins schätzten.)
FAZ: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ministerpräsident. Möchten Sie unseren deutschen Lesern noch etwas ganz persönliches mitteilen?
Wen Jiabao: Es gibt da zwei Dinge, die, je tiefgehender und länger ich sie überdenke, täglich mehr Staunen und Ehrfurcht in meiner Seele hervorrufen; sie sind das Sternenlicht über und die Moral in mir.
(Das ist von Kant, 1724 bis 1804, dem Philosophen der Aufklärung im deutschen Sprachraum! Da der Premier das gleiche Zitat schon einmal im Gespräch mit deutschen Journalisten benutzte, das war im April 2004, muss man davon ausgehen, dass ihm viel an dieser Erkenntnis liegt.)
Wen Jiabao: Warum nur steh’n mir so oft die Tränen in den Augen? Nun, weil ich diesen Boden [vermutlich: China] so sehr liebe.
(Das ist von Ai Qing, 1910 bis 1996)
Ich glaube zwar nicht, dass das Interview ausschließlich aus Dichter-Zitaten bestand, aber in Deutschland würde ein Politiker, der in einem Interview so viel fremdes Gedankengut feilbietet, als geistlos völlig durchfallen. Im heutigen China ist das (wieder) anders. Im kaiserlichen China war Erziehung der Eigeninitiative der Eltern überlassen. Nach der Vermittlung von Lese- und Schreibfertigkeiten wandten sich die Jungen dem Studium konfuzianischer Texte zu (Mädchen wurden, wenn überhaupt, nur zuhause unterrichtet) mit dem Ziel, an den mehrstufigen staatlichen Beamtenprüfungen teilzunehmen, deren erfolgreiches Bestehen den Aufstieg in höchste Positionen der Beamtenhierarchie, verbunden mit Macht, Wohlstand und Ansehen versprach. Das langjährige Studium der konfuzianischen Schriften brachte vorzügliche Literaten hervor, die sich geschliffen ausdrücken konnten und es verstanden, zu jedem literarischen Thema einen Aufsatz oder ein Gedicht zu schreiben, wohingegen keinerlei technische oder naturwissenschaftliche Sachkenntnis vorhanden war. Von der Pflege einzig der hoch entwickelten moralischen Werte war man solange überzeugt, bis die waffentechnisch überlegenen europäischen Mächte in China eindrangen und es in ihre Einflusszonen einteilten. Da erst wurde hastig versucht die Defizite aufzuholen. 1905 erfolgte die Abschaffung des staatlichen Prüfungssystems und das war das endgültige Aus für die traditionelle Bildung. Auch die Ausländer, vor allem die Amerikaner, betätigten sich auf dem Bildungssektor. In diese Zeit fällt die Gründung der USST (ehemals als amerikanische, kirchliche Hochschule) und der Deutschen Medizintechnischen Schule auf dem heutigen Fuxing-Campus. Unter den Kommunisten wurde die Bildung ab 1949 voll verstaatlicht. Viele Chinesen, die Mao das erste Mal reden hörten, waren enttäuscht über seine Grobschlächtigkeit, da war nichts von der feinen Sprache der Herrschenden der Kaiserzeit. Seit den 1990er-Jahren gibt es wieder private Bildungseinrichtungen und heute gehört auch literarische Bildung, neben einem grundsätzlich hohen Bildungsniveau, wieder zum Erstrebten.
Mein Niveau: Erstklässler
Ich für meinen Teil habe mir für dieses Streben in der Buchhandlung für je 2 Yuan drei Schreibübungshefte für Erstklässler gekauft, die, wenn ich sie durchgearbeitet und mir gemerkt haben werde (oder würde), mir zu einem Wortschatz von 300 Wörter verhelfen werden. Dabei finde ich es leichter, mir die Schriftzeichen zu merken, als die Aussprache, die ich ohnehin beim Schreibenüben nicht höre. Folgendes ist mir aufgefallen:
erstens Wasser (im Sinne der geographischen Beschreibung) kann ich am linksstehenden Wasser-Radikal, bestehend aus zwei kurzen und einem langen Strich erkennen, zum Beispiel in:
江 jiāng grosser Fluss, Strom
河 hé Fluss
湖 hú (der) See
海 hǎi Meer, (die) See
und davon abgeleitet, als abstrakter Begriff:
洋 yáng großartig; unermesslich
oder unter dem Radikal für Regen die Ableitungen des Niederschlags:
雨 yǔ Regen
雪 xuě Schnee
雷 léi Donner
霜 shuāng Frost
雹 báo Hagel
und als drittes Beispiel, die Änderung des Aggregatzustands von Wasser, was im linken Radikal sichtbar ist:
水 shuǐ Wasser
冰 bīng Eis.
Die Schriftzeichen sind also sinnerklärend aufgebaut, was eine sehr gute mnemotechnische Hilfe ist. Trotzdem muss man die Aussprache (und zugleich die Bedeutung) jedes Schriftzeichens kennen, denn das Schriftzeichen selber gibt keinerlei Hinweis auf seine Phonetik (die in den verschiedenen Sprachen untereinander zudem noch unverstehbar unterschiedlich ist). 10.000e verschiedene Schriftzeichen gibt es, wobei im chinesischen das Wort 10.000 (万 wàn) selber im übertragenen Sinn auch „unzählbar viel“ bedeutet. Trotzdem kann man im chinesischen schneller SMSs schreiben als im Deutschen, weil man weniger Tastenanschläge braucht, um ein Wort fertig zu stellen. Kürzere SMS heißt auch weniger Kosten. Das Prinzip ist sehr einfach, und ich werde es morgen erklären.
Erkenntnis des Tages: Manchmal kommt man mit lesen weiter herum als mit reisen.

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