Dienstag, 16. September 2008

Erstsemesterbegrüßung

Einzug der Studenten
Heute zog ich mein sauberes blaues Hemd an, die seit dem Taifunregensturz nicht mehr benutzten Lederschuhe und nahm Jackett und Krawatte mit. Denn nach den Vorlesungen am Vormittag war eine Fahrt zum Jun Gong-Campus angesagt, wo ich bei der Erstsemesterbegrüßungsfeier vom Podium aus ein paar Grußworte auf Deutsch zu den Studierenden sprechen sollte. Ich war vorbereitet worden wie ich es gewohnt bin: nett, freundlich, unklare Angaben, alles versprechend, aber das, was von vornherein schon nicht ausführbar gewesen war, ist angeblich erst urplötzlich leider doch nicht mehr möglich, alles wird irgendwie geschickt hinimprovisiert. Schon auf dem Fuxing-Campus war es heute merklich bevölkerter gewesen, weil dort die sino-britischen Erstsemester auch heute eingetroffen sind und ihre Quartiere bezogen haben. Noch geschäftiger ging auf Jun Gong zu.



„Unsere“ Studenten der Zukunft
Im achten Stock der gigantischen Bibliothek war der Vortragssaal in dem ich neben der Dekanin des internationalen Studienganges für Ingenieurwissenschaften und einem weiteren Dekan, Prodekan und Abteilungsleitern mit einem Deutschlehrer als Dolmetscher als einziger mit Schlips und Jackett auf dem Podium saß und wie alle anderen 17 Offiziellen im Saal den Erstsemestern des Maschinenbaus und der Finanzwissenschaften im internationalen Studiengang vorgestellt wurde. Zuerst stellte die Dekanin die USST, das Joint-College, die Vergangenheit und die Zukunft mit einer Powerpoint-Präsentation sehr eloquent und mit ansteckender Begeisterung vor. Mich jedenfalls erreichte sie. Bei den Studierenden (55 männliche und 31 weibliche, von den Damen studieren die meisten leider Finanzwirtschaft) gelang ihr das bei manchen nicht so gut, denn trotz des spannenden Vortrags waren in wechselnder Besetzung stets fünf bis zehn in ihren bonbonrosafarbenen Plüschklappsesseln in den Schlaf weggeklappt. Das konnte nur an dem gestrigen Mondfest und keinesfalls an der Dekanin liegen. Nach Beendigung ihrer Schulzeit nehmen diejenigen, die Studieren wollen, an anstregenden national identischen Aufnahmeprüfungen teil, für die viele junge Leute einen Haufen Stoff pauken und vieles stur auswendig lernen. Die Zahl der erreichten Punkte gibt Auskunft darüber, welche Qualität die Universität hat, die die Studierenden später besuchen dürfen. Die USST liegt zwischen zweiter und dritter Klasse. Der Studierwille ist groß; 90 % der Studienanfänger machen einen Abschluss. Das System ist dreigestuft: Bachelor nach vier Jahren, dann Master für die Besten , eventuell kann man noch eine Promotion anschließen. Ich erkannte auf den präsentierten Fotos der letzten Jahre viele mir bekannte Gesichter deutscher Professoren aus Hamburg wieder.



Wachstum
Am beindrucktesten war ich von den Zukunftsplänen, die bereits in einem drei mal vier Meter großen 1:500-Modell dargestellt sind, welches ich nach der Veranstaltung aufgesucht und studiert habe: Das heute schon 1000 Mu (650.000 m²) große Gelände wird im kommenden Jahr um die Hälfte(!) nach Osten hin erweitert, indem die angrenzende Wohnbebauung plattgemacht wird, und als un-terminierte Mittelfristplanung steht eine noch einmal so große Erweiterung nach Westen hin bevor. Vor einhundert Jahren, als die Hochschule als kirchliche, amerikanische Bildungsanstalt gegründet wurde, hat das niemand vorhergesehen.

Podiumsvortrag Xu (Foto wird nachgeliefert)

Repräsentant, gewollt oder ungewollt
Ich begrüßte die Studierenden auf Deutsch und beglückwünschte sie zur Wahl ihres Studiums, das sie neben allem fachlichen Wissen zu dem Alleinstellungsmerkmal der Kenntnisse in der deutschen Sprache und Kultur befähigen würde. Weil ich am Revers den gestreiften Pin der HAW trug, den ich persönlich im Hochschulpräsidium vom Präsidenten seiner Sekretärin übergeben bekommen hatte, fühlte ich mich irgendwie autorisiert, im Namen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Grüße und Glückwünsche zu übermitteln und Werbung für die Freie und Hansestadt Hamburg machen zu dürfen. Egal, ob erlaubt oder Kompetenzübertretung: was ich auch mache oder unterlasse, niemand schließt auf „Peter Hornberger“, sondern ich werde von den Chinesen immer mit „der Deutsche“ oder „die Deutschen“ oder sogar „Deutschland“ gleichgesetzt. Endlich hat die mich bisher immer befremdende Werbung „Du bist Deutschland“ einen wahren Sinn bekommen.

Studentenleben
Auf dem Jun Gong-Campusgelände strömten mir auf dem Rückweg, in geschlechtsgetrennten Pulks, Studierende mit Schüssel, Handtuch und Duschgelflasche in der Hand entgegen. Es war gerade die Zeit, in der das Duschhaus geöffnet ist. Im Wohnheim gibt’s an der Waschkaue nur fließend Kaltwasser. Alle Studierenden leben während ihres Studiums im Campus-Studentenwohnheim. Tagsüber sind Vorlesungen angesagt, nach dem Abendessen wird in den Seminarräumen im Eigenstudium gelernt oder Sport getrieben (jeder Campus ist mit Sportplätzen und Sporthallen reichlich bestückt), dann ist noch Wäsche waschen dran, eine halbe Stunde Musik hören, eine Stunde Computerspiel, und um 23.30 Uhr geht’s ins Bett zum Schlafen – oder es wird doch bis 02.00 Uhr am Computer gedaddelt; dann findet der Schlaf anderntags im Vorlesungssaal statt.



Snack
Erst viel zu spät kam ich wieder am Fuxing-Campus an, als dass ich mich meinen Kollegen zum gemeinsamen Abendessen hätte anschließen können. Deswegen bog ich auf dem Heimweg bei einem Schnellimbiss ab und bestellte auf die übliche chinesische Art in Gaststätten mit viel Laufkundschaft: Zuerst überlegt man sich, was man haben will. Dann zahlt man an der Kasse und erhält dafür einen Kassenbon. Anschließend tauscht man am Küchentresen den Bon und erhält die darauf verzeichnete Speise. Letztlich holt man sich auf dem Weg zu einem freiwerdenden Platz mit Resopaltischplatte noch entweder kurze, eingepackte Einmalstäbchen oder aus dem Spender große dampfgereinigte Plastik- oder Bambusstäbchen sowie ein Schälchen für Sojasoße oder Essig, was in Porzellanteekannen auf den Tischen bereitgehalten wird (Normalerweise gibt es auch Zahnstocher am Tisch, manchmal Servietten, seltener in Folie eingeschweißte, feuchte Waschlappen und nie Pfeffer oder gar Salz). Nach dem Essen hinterlässt man einen möglichst großen Haufen an Tischabfällen und einen möglichst versauten Platz, damit das üppig vorhandene Personal daran erkennen kann, wie hervorragend es einem geschmeckt hat, und wie sehr zufrieden man ist, denn Trinkgeld wird nirgends weder gegeben noch angenommen.



Ich hatte mich für 包子 bāo-zi (Tasche-VP = gebratenes Teigtäschchen mit Fleischbrätfüllung), im Westen auch als Dim Sun bekannt, entschieden und zeigte auf das Foto mit der von mir begehrten Speise. Als die Kassiererin mit Sprache bei mir nicht weiterkam, zeigte sie mit dem Finger „Eins“ und ich bejahte. Dafür zahlte ich drei Yuan im Gegenwert von 30 Eurocent. Die Frau wird doch nicht nur ein einziges Teigtäschchen gemeint haben? Ich erhöhte auf drei Stück für 9 Yuan, jetzt 90 Eurocent. Und bekam eine ganze Schale mit 12 Stück dafür, die ich schließlich nicht alle schaffte.

Erkenntnis des Tages: Exklusivität macht wichtig

1 Kommentar:

GK hat gesagt…

In einer Stadt in Westchina zahlte ich umgerechnet 10 € für ausgezeichnete Dampfnudeln (Teigbällchen mit Füllung) plus Tee für 6 Damen und mich und alle wurden satt.
Kommentar: in China könne ich mir einen Harem leisten.